Offline-Experiment beendet

Sensation: Es funktioniert, drei Wochen (fast) offline zu leben. Experiment beendet. Im Ernst: Große Aussagekraft hat diese Feststellung natürlich nicht. Oder wundert sich da tatsächlich jemand? Egal: Da mich in den vergangenen Monaten einzelne Kollegen und so manche Studenten schon fast mitleidig anschauten und meine digitale Probierwut als suchtnah bezeichneten, muss es hier einfach einmal festgestellt werden: Bis auf drei kurze Besuche in Internet-Cafés war ich drei Wochen offline.

Und wie fühlt sich das an, wenn man sonst täglich mit RSS-Feeds, Friendfeed, Twitter & Co. umgeht? Seltsam. Die fehlenden Routinen irritieren zeitweilig. So richtig fehlte mir eigentlich nichts, doch ich nahm zum ersten Mal bewusst wahr, wie viele Hotspots es in Cafés und auf öffentlichen Plätzen gibt. So viele Möglichkeiten. Aber insgesamt habe ich die Offline-Zeit (die auch fernsehfrei war) sehr genossen. Einmal in der Woche habe ich lediglich die E-Mails gecheckt, laufen doch dort auch die meisten Infos unterschiedlicher Social Media-Plattformen zusammen. Insgesamt hat zum Lesen und Beantworten der allerwichtigsten Mails in diesen drei Wochen etwa eine Stunde gereicht. Und der Rest? Newsletter, Mails, in denen ich auf cc stehe und Mails, die nicht sofort abgearbeitet werden müssen.

Und nun nach der Rückkehr im Online-Leben? Einen halben Tag habe ich mir für die unbeantworteten Mails und ein Querlesen im RSS-Reader gegeben. Vieles habe ich dabei natürlich nicht wahrgenommen, aber in Zeiten der Informationsflut kann man ohnehin nur punktuell aufmerksam sein. Die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen, muss man wohl ablegen, um überleben zu können. Meine Überzeugung: Die wirklich bedeutenden Dinge bekommt man auch im zweiten Anlauf mit. Schließlich sind drei Wochen keine Ewigkeit. Und jetzt freue ich mich, wieder am Schreibtisch zu sein.

Hängen geblieben bin ich heute Vormittag an folgenden Themen (Notes to myself, wer online war, ist über das meiste ohnehin selbst gestolpert):

  • ARD-/ZDF-Online-Studie: Pflichtlektüre zur Internetnutzung
  • Mein Grazer Kollege Heinz Wittenbrink hat durch Watzlawick inspiriert eine Anleitung zum Unglück im Web geschrieben – sehr passend für den heutigen Tag.
  • Im aquarius-Blog wurden bereits vor ein paar Wochen Anwendungsbeispiele für Social Networks zur Marktforschung und Verkaufsförderung vorgestellt (via Basic Thinking).
  • Im Rahmen seiner Dissertation bastelt Karsten Ehms unter anderem an einer Typisierung von Weblogs. Ich hatte das vor ein paar Jahren hier auch mal probiert (Vorsicht, fehlerhafte Formatierung in der Liste).
  • Timo Lommatzsch hat seine Bachelor-Arbeit an der FH Hannover zur Social Media News Release geschrieben und nun hierzu ein eBook (pdf) und neun Thesen veröffentlicht. Wenn ich es richtig sehe, hat Timo vor allem eine ausführliche Beschreibung der Idee und ihrer Hintergründe geliefert. Ob auch der Aspekt der Akzeptanz bzw. Hürden angeschnitten werden, muss ich noch in Ruhe nachlesen.
  • Ebenfalls näher anschauen will ich mir in nächster Zeit Labmeeting, eine Mischung aus Social Network und Dokumentenmanagement-Plattform für Wissenschaftler, das das Schaffen von Lernräumen und die Diskussion von Papers etc. unterstützen soll (ausführlicher TechCrunch dazu).
  • Und noch zwei Fundstücke aus der Abteilung „Fallbeispiele für Social Media und PR“: Nike hat anscheinend eine Werbeanzeige nach Bloggerprotesten zurückgezogen und SocialVibe kombiniert Social Media-Werbung und Fundraising und hat damit nun 100.000 Dollar zusammengetragen. Konkreter: Mitglieder von SocialVibe können das Werbe-Badge eines Unternehmens auf ihren Social Media-Seiten (z.B. im Blog, in Facebook oder MySpace) veröffentlichen. Abhängig von der Popularität der Mitglieder werden dann Punkte vergeben, die in eine Spende an eine gemeinnützige Organisation umgerechnet werden. Die Firma spendet also anstatt die Anzeige zu bezahlen (via ReadWriteWeb).

So, nun zurück zur Arbeit. Ein paar Themen hebe ich mir noch auf, wie es die Zeit erlaubt, ergeben die vielleicht noch eigene Posts.

P.S.: Die Telekom hat mein DSL gekappt – das schränkt meine Online-Zeiten nochmal ziemlich ein.

11 Kommentare

  1. Früher nannte sich eine solche Offline-Zeit einfach Urlaub; eine solche OZ werde ich ebenfalls ab Mitte August genießen.

    Übrigens empfiehlt sich allen Fans der Online- und sonstigen Arbeitsdreduktion das sehr kalifornische, aber durchaus unterhaltsame Buch von Timothy Ferris: „Die 4-Stunden Woche“. Einer seiner besten Tipps: die selektive Ignoranz.

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  2. Hallo Thomas, welcome back :)
    “ Ob auch der Aspekt der Akzeptanz bzw. Hürden angeschnitten werden, muss ich noch in Ruhe nachlesen.“ -> Kapitel 6 ;)

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  3. Sehr schöner Tipp, lieber Klaus. Das Wunderbare an der OZ ist , dass sie heutzutage als eine Steigerung von Urlaub gesehen werden kann ;-)

    Timo: Fein, danke schön!

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  4. Ein Ex-Kommilitone von mir wollte mal das Gegenteil ausprobieren: Einen Monat lang die eigene Wohnung NICHT verlassen und ausschließlich online (Kommunikation, News, Unterhaltung) bzw. mit Online-Hilfe (Essen bestellen, Einkäufe) leben.

    Hat er aber noch nicht gemacht, evt. ist die Angst zu groß, dass ihm niemand zeitnah Zigaretten besorgen kann ;-)

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  5. @Jens: Was ist daran heute noch besonders, einen Monat die Wohnung nicht zu verlassen, um sich Tag und Nacht im Internet aufzuhalten? Ich glaube, es gibt mehr Leute (vor allem Jugendliche) als man denkt, die genau das tun (und das nicht nur einen Monat) und jeglicheKontakte zur Außenwelt abbrechen, da sie nur noch virtuell leben…

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  6. Thomas, so etwas Ähnliches wie du nach deinem Offline-Experiment erlebe ich auch gerade. Ich war zehn Tage im Urlaub, dann drei Tage im Büro, dann wieder eine Woche auf einem Seminar. In dieser gesamten Zeit habe ich zwar täglich – auf dem Handy – meine Mails gecheckt und die allerwichtigsten beantwortet. Habe ansonsten aber keine Feeds und Reader gelesen, keine Nachrichten im Internet, keine Foren besucht und mein Blog nur am Rande betrieben – ich hatte für die meiste Zeit eine Blog-Vertretung. Als ich dann gestern anfing, alles nachzulesen, stellte ich fest, wie wenig wirklich Relevantes mir durchgegangen war.

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  7. Kerstin, Dein Modell des Blogsitters hatte ich mir auch überlegt – und dann verworfen. Ein bisschen sorgenvoll war ich schon, ob irgendwas passieren könnte, von dem ich wissen wollte. Tatsächlich gab es nichts Dergleichen – was natürlich nicht heißt, dass eine Firma oder Profi-Blogger das ähnlich machen sollte ;-)

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  8. Ja, du brauchst das ja auch nicht unbedingt, weil du ja auch sonst nicht jeden Tag schreibst und auch schon mal längere Pausen dazwischen hast.

    Aber für mein Blog habe ich nun mal selbst die Regel ‚täglich frisch‘ definiert – und das „Storyboard“ läuft erst seit diesem Mai. Wenn sich sowas mal ein, zwei Jahre lang etabliert hat, kann man sich vielleicht auch mal eine angekündigte Pause leisten.

    Im Moment sind mir die Zugriffszahlen noch nicht konstant genug, um auch mal den Leerlauf zu wagen. Zumal einige Aktionen in letzter Zeit – etwa die Interviews mit Andreas Kunze und Uwe Knaus und eine Beteiligung an einer Blogparade – die täglichen Zugriffe deutlich erhöht haben. (Meine heutige Ankündigung mit dem offenen Blog-Workshop hat übrigens nochmal einen Schub gebracht.)

    Diese Einmal-Besucher möchte ich natürlich bei der Stange halten und als Dauer-Leser gewinnen. Und wenn auch im Urlaub täglich ein Beitrag erscheint, gibt es natürlich auch öfter Kommentare und Pingbacks dazu, die zeitnah freigeschaltet werden sollten. Wenn du selbst nichts Neues einstellst, gibt es auch weniger Reaktionen.

    Zudem ist mein Blog ja auch eines der Instrumente, mit denen ich Kontakte zu Kunden und Kollegen halte – einfach, indem die regelmäßig von mir lesen -, über das potenzielle Kunden auf mich aufmerksam machen und das einen Eindruck von mir vermittelt und von dem, was ich kann. Dein Blog ist ja nicht in dem Sinne auch Akquise-Instrument. Deswegen sind deine Zugriffszahlen natürlich nicht egal. Aber du kannst das eben lockerer sehen, oder?

    Ich habe zudem mit meiner Blogsitterin sehr viel Glück. Susi Ackstaller hat jeweils superschnell freigeschaltet, gewissenhaft geprüft und überhaupt den Überblick so behalten, dass ich mich damit sehr sicher gefühlt habe und mein Blog in guten Händen wusste. Ich habe schon jetzt die Zusicherung, dass sie es jederzeit wieder machen würde – und ich werde sie natürlich genauso gerne vertreten.

    Ich denke aber, das ist schon ein echter Glücksfall, jemanden zu finden, der genauso ‚tickt‘ wie man selbst, der die Werkzeuge gut genug beherrscht – und der dann auch noch Zeit und Lust hat, sowas zu machen.

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  9. Du hast vollkommen Recht: Als Selbstständiger hätte ich es genauso gemacht wie Du; in meiner jetzigen Rolle ist mir der Traffic nicht wirklich wichtig (wobei natürlich schon ganz schön ist, wenn man weiß, es gibt ein paar Leser). Angeregt durch Deinen Kommentar habe ich mal den technorati-Rang für’s textdepot angeschaut – und der ist in den letzten Wochen ganz rasch nach unten gerauscht…

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  10. @Ute: Gibt’s sicherlich, habe aber noch nie in meinem Leben jemand persönlich kennengelernt (naja, eigentlich logisch, wenn diese Leute nicht rausgehen), der einen Monat lang nicht das Haus verlassen hat (ohne krank zu sein). So krasse Fälle gibt’s auch unter den Digital Natives kaum – und Schule, Ausbildung oder Job sind da ja auch automatisch ein Korrektiv…

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