PR im Web 2.0: Ist schon Zukunft?

Die Veränderungen der Kommmunikation im Internet und die Frage, was diese für die PR bedeuten, beschäftigt viele schon seit drei, vier Jahren oder länger. Seitdem gibt es landauf, landab Tagungen, Zukunftsforen, Podiumsdiskussionen oder Workshops zum Thema. Entweder auf Einladung von Agenturen, IHKn, IT-Initiativen, PR-Verbänden oder anderen. Ziel der Übung ist meist, diejenigen, die in der täglichen Kommunikationsarbeit stecken, mitzunehmen und ihnen einen Eindruck von einem strukturellen Wandel zu geben, den sie im Tagesgeschäft womöglich so nicht wahrnehmen (können?). Hat sich nun in diesen drei, vier Jahren etwas geändert?

Ich kann diese Frage nicht mit soliden Zahlen zur Praxis der PR beantworten, sondern will es mit dem Eindruck versuchen, den ich als Mitdiskutierender oder Vortragender auf solchen Veranstaltungen gewinne. Gestern gab es eine solche, diesmal direkt vor der Haustür: Die Darmstädter PR-Agentur Profilwerkstatt hatte zum „Forum für Vordenker“ geladen. „Web x.0 – was PR von morgen sich trauen muss“ war der Titel der Veranstaltung, zu der vor allem PR-Leute und Unternehmer aus der Region gekommen waren. Und wie war’s? Angenehm, natürlich. Olaf Kolbrück (Horizont, off the record) moderierte kundig; Ralf Ansorge (Profilwerkstatt), Robert Basic (Basic Thinking), Kai Hattendorf (PR-Chef Messe Frankfurt), Jörg Riebartsch (Chefredakteur Darmstädter Echo) und ich versuchten herauszuarbeiten, was es bedeutet, wenn hunderte Kunden negative Amazonrezensionen schreiben, wenn Blogger bei Unternehmen nachfragen, was hinter einer Presseinfo steckt oder im Social Network politischer Diskurs stattfindet.

Und natürlich haben wir über die Aufgabe des Zuhörens, über PR als Beziehungspflege diskutiert, darüber, dass langfristige Bindungen und die Word of Mouth-Kommunikation besondere Bedeutung haben und dass die Kommunikationsabteilung kein kommunikatives Nadelöhr sein darf. Umgekehrt geht es nicht einfach um das Füllen von Kanälen, sondern um Menschen, wie auch Klaus Eck heute treffend schreibt und eine Ford-Kampagne sowie die dahinter stehende Agentur kritisch betrachtet (eine ähnlich misslungene Social Media-Kampagne von Renault wird hier besprochen). Auch in der Diskussion gestern kamen wir zur Rolle von Agenturen, die aus meiner Sicht in der Online-Welt so manches Geschäftsmodell überdenken sollten, die im schlimmsten Fall den Auftraggeber Reputation kosten, aber ihn auch gut an der Hand nehmen können und – wie Ralf Ansorge betonte – ggf. auch „Nein“ sagen können sollten. Nein, man muss nicht alles mitmachen, aber laufend Relevantes für die jeweilige Kommunikationsaufgabe erkennen bzw. für Stakeholder schaffen.

Am spannendsten für mich wurde die gestrige Veranstaltung jedoch, als das Publikum einbezogen wurde und mitdiskutierte – und nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung. Spannend deshalb, weil ich einmal mehr den Eindruck einer tiefen Kluft in der Wahrnehmung der Gegenwart empfunden habe: Da sind auf der einen Seite besorgte Menschen (immerhin überwiegend Kommunikatoren), die Blogs als Angst machende Gerüchteschleudern einordnen, den Blogger fragen, woher er die Legitimität beziehe, über Unternehmen zu schreiben oder die wissen wollen, was genau sie tun müssen, um mit einem Millionen-Budget in diesem Web 2.0 ihre Botschaft gehört bekommen. Da spielen offenbar Abwehrmechanismen bzw. die Furcht vor dem Unbekannten und das bisher Gewohnte eine große Rolle. Recht lange haben wir uns gestern mit dem Etikett des „Gossip“ beschäftigt. Mich hat vor allem das Vorurteil einzelner gestört, dass es in Blogs _nur darum gehe, Gerüchte zu verbreiten und damit die Blogosphäre letztlich nicht ernst zu nehmen sei. Klar wird dies der Realität nicht gerecht. Eine andere Brille hat Olaf Kolbrück in seiner Nachbetrachtung aufgesetzt und den Nutzen des Gossip für Marken wunderbar herausgearbeitet. Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach hat das eben aufgegriffen.

Aber zurück zu der von mir wahrgenommenen Kluft: Die bemerkt man nach der offiziellen Diskussion, in Gesprächen im kleinen Kreis und mit Menschen, die sich vorher nicht zu Wort gemeldet haben. Aber sie sind schon tief drin in der neuen Kommunikation – etwa, indem sie als Dienstleister Xing aktiv zum Beziehungsmanagement nutzen oder ihre Mitarbeiter darin bestärken, im Netz offensiv präsent zu sein. Und man trifft Menschen, die eingetaucht sind in die neue Welt des Social Web und genau deshalb einiges kritisch sehen – etwa auf Youtube geladene Schulhofschlägereien, Fotos vom Kindergeburtstag in SchülerVZ oder den Kurssturz von United Airlines vor einigen Tagen. Da entwickeln sich schnell Gespräche um Medienkompetenz oder zur Idee eines Verfallsdatums digitaler Daten.

Sie bleiben also spannend, solche Veranstaltungen – und wichtig. Ein Zuhörer meinte gegen Ende der Diskussion, wir hätten nun fast den ganzen Abend über Dinge gesprochen, die doch schon vor Jahren im Cluetrain-Manifest standen. Er hat Recht. Die Wahrnehmungszyklen neuer Strukturen oder Ideen scheinen mir jedoch unberechenbar – und sie sind länger als es das Netz erlaubt.

Und was ist nun die Antwort auf die von der profilwerkstatt gestellte Frage, was sich PR im Jahr 2015 trauen muss? Meine geht so: PR muss sich 2015 das selbe trauen wie heute: Die Kommunikationstünche zu Hause lassen, zuhören und mit den Stakeholdern dort offen kommunizieren, wo diese anzutreffen sind.

Hier noch meine Folien, mit denen ich vor der Diskussion ins Thema eingeführt habe und in denen sich noch fünf weitere Thesen zur PR verstecken (habe den öffentlich zugänglichen Foliensatz etwas gekürzt und Folien, die einzelne Blogger oder Personen betreffen, herausgenommen)

11 Kommentare

  1. Irgendwie erschreckend finde ich, dass es immer noch notwendig ist, über These # 2 zu reden kommunizieren:

    „PR bedeutet nicht nur Informationen zu verteilen, sondern Beziehungen zu pflegen.“

    Denn es gibt keine Beziehungen ohne mehr-/beidseitiges Handeln und Betroffenheit. Aber andererseits scheint es Vielen schwerzufallen, eine Übersetzung für das Wörtchen zu finden, das sich hinter dem „R“ von „PR“ versteckt. Möglicherweise sollten wir anstelle der Abkürzung des Öfteren das ausgeschriebene Original benutzen ;-)

    Like

  2. Ich glaube, wir müssen das mal durchbuchstabieren, was öffentliche (public) Beziehungen (relations) bedeuten. Ein Aspekt ist sicher, dass sie Nutzen stiften sollten. Hm, glaube, dazu schreibe ich mal extra ein paar Gedanken hier auf. Anregungen sind natürlich willkommen!

    Like

Kommentare sind geschlossen.