Lehre: Mit Zielvereinbarungen ins neue Semester

So, nun isses soweit: Wieder hat ein neues Semester begonnen. Für mich in neuer Rolle, da ich zum 1. September den netten Kollegen als Leiter des Studiengangs Online-Journalismus ablösen durfte. Wie auch die anderen Kolleginnen und Kollegen habe ich mich in den vergangenen Wochen besonders mit der Konzeption unseres Bachelor-Studiengangs, der nächstes Jahr anlaufen soll, beschäftigt. Konkret ging es in den vergangenen Wochen um den Akkreditierungsantrag, der gut 150 Seiten dick geworden ist. Aus den Diskussionen, die wir in diesem Zusammenhang geführt haben, ist mir eine neue Idee für Lehrveranstaltungen gekommen: Zielvereinbarungen. Die will ich in diesem Semester einführen und zum Teil eines Lernportfolios machen.

Warum das Ganze? Besonders in Projektveranstaltungen, in denen die Studenten im Team eine praktische Aufgabe lösen sollen (bei mir heißt das „Lernagentur“), zeigen sich aus meiner Sicht immer wieder zwei Schwierigkeiten:

  • Teambildung: Innerhalb der Teams mit meist vier bis fünf Mitgliedern mangelt es gelegentlich an klaren Rollenverteilungen. Zwar wird meine Vorgabe „one face to the customer“ befolgt und ein Teammitglied zum festen Ansprechpartner für unsere Autraggeber ernannt, doch die anderen Rollen wie Projektmanagement etc. werden gelegentlich nicht klar definiert. Das muss nicht schlimm sein, wenn das Team toll funktioniert; im schlimmsten Fall kann jedoch „keine Zuständigkeit“ auch „keine Verantwortlichkeit“ bedeuten. Das kann soweit gehen, dass sich ein Mitglied aus der Arbeitsgruppe herauszieht und sich kaum an der Projektarbeit beteilgt. Manchmal brechen solche Situationen für alle (auch den Dozenten) sichtbar als Konflikt auf, manchmal geht die Solidarität in einer Gruppe jedoch so weit, dass sie alles tut, um dieses Mitglied mitzutragen.
  • Lernziele: Ein Projekt soll natürlich gewählt werden, weil es eine Herausforderung darstellt. Doch scheint es mir sinnvoll, konkret zu benennen, worin für den Einzelnen seine Herausforderung liegt. Dies geht aus meiner Sicht am besten, wenn man formuliert, was man für sich erreichen möchte, also welche Lernziele man mit einem Projekt verfolgt. Voraussetzung dafür: Man überlegt sich vorher, wo die individuellen Stärken und Schwächen liegen.

Mein Grundgedanke ist, in solchen Projekten den Studenten viel Autonomie, aber auch Verantwortung für das eigene Lernen zu geben. Dazu erscheint es mir sinnvoll, ausreichend Verbindlichkeit herzustellen, damit jedem klar wird, was ihm die Arbeit in einem Projekt konkret bringen soll (außer Spaß und einer Referenz). Und ich möchte besonders die wenigen erreichen, die möglicherweise Gefahr laufen, sich die Projektarbeit etwas einfacher zu machen als die anderen.

Wie soll das Ganze funktionieren? Ich habe mir ein zweistufiges Verfahren ausgedacht:

  1. Am Semesteranfang formuliert jeder Student eine Zielvereinbarung. Diese enthält eine kurze Einschätzung der eigenen Kompetenzen (Sach-, Fach- und organisatorische Kompetenzen) und die Formulierung dreier Lernziele, die in diesem Semester erreicht werden sollen. Außerdem soll niedergeschrieben werden, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Beispiele wären die Übernahme von Projektmanagementaufgaben, der Kundenkontakt, das Erstellen einer Wettbewerbsanalyse etc.). Dies soll schließlich unterschrieben abgeben werden. Voraussetzung hierfür ist ein Diskussionsprozess in jeder Gruppe, in der die Maßnahmen der einzelnen Mitglieder koordiniert werden müssen.
  2. Wie bisher erstellt jeder Studenten zum Ende des Projekts eine Dokumentation, die neben den Projektergebnissen (z.B. eine PR-Konzeption) auch eine Reflexion der eigenen Leistung beinhaltet. Im Gegensatz zu den bisherigen Reflexionen wird nun nicht nur überlegt, was wie gelaufen ist oder besser gemacht werden hätte können (das wird gelegentlich allzu wolkig, und auch mal abgekupfert), sondern es wird zusätzlich auf die Zielvereinbarung zurückgegriffen. Welche Ziele wurden erreicht? Welche nicht? Warum? etc.

Das Ziel der Übung sollte also mehr als eine Projektdokumentation sein, sondern es geht hier um die Verantwortung der Studierenden für ihr Lernen. Damit stehen nicht mehr allein die Projektergebnisse im Vordergrund, sondern Lernfortschritte und deren Reflexion werden intensiver einbezogen. In der Fachdiskussion wird in diesem Zusammenhang oft von selbstgesteuertem Lernen gesprochen.

Bei der Bewertung möchte ich die eigentlichen Projektergebnisse mit zwei Dritteln gewichten, Zielvereinbarung und Projektmappe mit einem Drittel. Meine Rolle sehe ich dabei als Coach, der das Erstellen der Zielvereinbarung begleitet und diese Rolle während der Projektarbeit zu den Sach-, Fach- und Organisationsfragen einnimmt und entsprechende Hilfestellungen gibt.

Nach meiner Einschätzung eignet sich ein solches Verfahren besonders gut für Projekte. Ob die Ausgestaltung sich wie hier beschrieben bewährt, ist natürlich sehr spannend für mich. Im künftigen Bachelor-Studiengang haben solche Lern- und Prüfungsformen jedenfalls als Option vorgesehen, so dass ich schon jetzt Erfarhrungen damit sammeln möchte.

Hinweise auf eigene Erfahrungen mit ähnlichen Konzepten oder Anregungen sind mir natürlich sehr willkommen.

Quellen und ähnliche Artikel:

8 Kommentare

  1. Die Idee finde ich sehr gut, nur würde ich zwei Dinge leicht modifizieren:

    1. Warum die Anzahl der zu formulierenden Lernziele mit 3 explizit vorgeben? Manche Lernziele – Erwerb der Fähigkeiten eine Projektleiters oder routinemäßige Nachprüfung und Belegung getroffener Aussagen durch wissenschaftliche Literatur und Erfahrungsberichten – können so umfangreich sein, dass sie (neben dem Kompetenzerwerb, der durch die inhaltliche Durchführung des Projekts ohnehin stattfindet) für sich genommen bereits ein semesterfüllendes Ziel darstellen. Oder im anderen Fall: Mehrere Kleinigkeiten – Ablegung von Präsentationsängsten, Zeitpuffer-Einrichtung vor den Deadlines uvm. – die einem Studenten ggf. verbesserungswürdig erscheinen – können durch Nennung genau dreier Ziele kaum abgedeckt werden, obwohl eine höhere Zahl im Semester erlernt/verbessert werden kann.

    2. Das Bewerten der Zielvereinbarungs-Erstellung stelle ich mir schwierig vor. Ich als Student könnte jetzt nicht auf Anhieb sagen, wie das aussehen soll: Bekomme ich eine gute Bewertung, wenn ich möglichst spektakuläre Zielvereinbarungen formuliere und am Ende dann deren glorreiche Erreichung reflektiere? Oder wird meine Ehrlichkeit positiv bewertet, wenn ich ausdrücke, wo der Schuh fachlich oder organisatorisch tatsächlich drückt (manchmal ganz unspektakuläre Dinge)? Und ist das dann eine „Gefühlsnote“, die Sie vergeben würden?

    Fragen über Fragen, wie immer ;-)

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  2. Gute Hinweise, danke!

    zu 1: überzeugt. Die Vorgabe dreier Ziele fliegt raus.

    zu 2: ja, das ist sehr schwierig. Im Prinzip kann man fragen, ob überhaupt eine Benotung solchen Arbeitens sinnvoll ist. Doch leider stecken wir da im Korsett des Prüfungsrechts. Wie also wird die Sache möglichst fair? Wichtig ist für mich zunächst das Projektergebnis, das jedoch das Ergebnis einer Gruppe ist. Das ist ein Notenbaustein. Hier fließt mit ein, inwiefern das Produkt den Regeln der Kunst entspricht (so gut man das bewerten kann) und das Feedback des Kunden. Den anderen Teil der Bewertung möchte ich für die Übernahme von Eigenverantwortung im Lernprozess und die dortigen Erfolge reservieren. „Möglichst spektakuläre Zielvereinbarungen“ können da nicht Sinn der Sache sein, sondern es sollte IMO um Lernfortschritte gehen. Ich vermute, dass man sehr schnell beim Lesen von Zielvereinbarung und Dokumentation merkt, ob diese dahingeschludert bzw. aufgeblasen sind oder ob sie Ergebnis eines ernsthaften Bemühens sind. Ist letzteres festzustellen, kann meiner Meinung eine sehr gute Note erreichen, wer möglichst angemessene Ziele setzt und diese möglichst vollständig erreicht. Dies zu bewerten ist dennoch nicht einfach, zugegeben. Ich hoffe aber, dass dies halbwegs gelingt, auch weil ich als Dozent die Studenten einigermaßen gut zu kennen glaube. Vielleicht wäre ergänzend auch eine Selbsteinschätzung eine gute Idee? („Welche Note würde ich mir selbst geben?“)

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  3. Hi!
    Finde die Idee soweit ganz gut – nur geht Sie auch in beide Richtungen? Sind die Zielvorstellungen der Studenten für Dozenten verpflichtend?

    Und betrifft es nur das jeweilige Projekt, oder auch andere Veranstaltungen?

    Ich erinnere mich nämlich gerade mit Grausen an verschiedene Lehrveranstaltungen, wo jegliche Zielvorstellung vom Dozenten weit unterboten wurden.

    Das mag hart formuliert sein, aber die Tendenz besteht ja.

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  4. Zunächst: Ich kann nur für mich sprechen.

    Und wie gesagt will ich das in dieser Form erst mal im Projekt testen. Denn dort geht es am stärksten nicht nur im den Erwerb von Wissen, sondern um Fertigkeiten und soziale Kompetenzen – also das breitest mögliche Feld von Lernerfolg innerhalb dessen jeder Student für sich Schwerpunkte setzen kann.

    Zu meinen anderen Lehrveranstaltungen (z.B. Textwerkstatt, PR) stehen die Themen jedes Termins im (internen) Wiki. Ergänzungen/Wünsche etc. können von jedem dort eingetragen werden, ein Termin bleibt üblicherweise auch ganz offen für Themenvorschläge von Studenten. Dies ist natürlich keine wirkliche Zielvereinbarung, unterstützt aber ein Aushandeln von Erwartungen.

    Gerade durch den Bologna-Prozess sind die Lernziele jeder Veranstaltung (bzw. der Module) recht genau festgelegt und für jeden nachlesbar (gilt also für den künftigen Bachelor-Studiengang). Damit wird uns Dozenten letztlich etwas ähnliches wie eine Zielvereinbarung vorgegeben. Diese Transparenz ist aus meiner Sicht zumindest ein Vorteil des Bologna-Prozesses.

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  5. Ich bin der Meinung, dass dieses Prinzip eine gute Möglichkeit birgt, sich und seine eigenen Fähigkeiten besser einzuschätzen.
    Selbstkritik und Reflexion sind wichtig, um Fehler, die begangen wurden, nicht zu wiederholen.
    Sie schreiben in ihrem Kommentar Folgendes:“…oder ob sie Ergebnis eines ernsthaften Bemühens sind. Ist letzteres festzustellen, kann meiner Meinung eine sehr gute Note erreichen, wer möglichst angemessene Ziele setzt und diese möglichst vollständig erreicht.“
    Das sehe ich allerdings nicht ganz so, denn auch wer seine Ziele nicht vollständig erreicht hat, dieses jedoch selbstkritisch reflektiert, sollte nicht mit einer schlechten Note bestraft werden, denn letztendlich geht es doch darum, dass sich der Einzelne Gedanken über seine Kompetenzen und Fähigkeiten macht und sich ein Ziel setzt. Nur so kann er lernen, wo seine Grenzen sind und er sich evtl. überschätzt hat. Das muss natürlich erkannt werden, jedoch ist eine 100 prozentige Zielerreichung vielleicht wünschenswert aber nicht immer umsetzbar. Diese kann in einem Projekt von mehreren Faktoren abhängen, nicht unbedingt nur von der Sach-, Fach- und organisatorischen Kompetenz.

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  6. Stimmt vollkommen, man muss auch die jeweilige Situation innerhalb der Gruppe und die Konstellation zwischen Gruppe und Projektpartner etc. berücksichtigen.

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