Social Media und Ernährungswirtschaft

Im Moment findet an der Uni Göttingen die zweitägige Konferenz „Die Ernährungswirtschaft im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit“ statt. Die Veranstaltung will den Blick vor allem auf Social Media als neue Herausforderung der PR lenken und wird vom Lehrstuhl für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte organisiert. Leider konnte ich gestern nur einige Ausschnitte der Tagung mitnehmen, aber es waren einige spannende Aspekte dabei.

Unabhängig vom speziellen Branchenfokus der Tagung interessant ist der Vortrag von Jan Schmidt, der zu Vertrauen und Online-Kommunikation referierte und damit einige Aspektes eines gerade laufenden DFG-Projektes, das sich mit Vertrauen in medizinische Informationen beschäftigt, aufgriff. Gerade die Unterscheidung von Vertrauen auf technischer Ebene, in Personen sowie in Informationen scheint mir sehr hilfreich. Relativ nahtlos an die Frage des Vertrauens in Personen im Internet schließt sich aus meiner Sicht das Konzept der digitalen Reputation an.

Hier ist Jans Vortrag, den er auf Slideshare zur Verfügung gestellt hat:

Spannend an der Ernährungsbranche in Bezug auf die Online-Kommunikation ist aus meiner Sicht vor allem, dass diese Branche sich der Onlinewelt aus einer ganz anderen Richtung annähert als viele andere: So ist sie traditionell eng mit der Politik verbunden und versteht Lobbying als eines ihrer wichtigen Instrumente, um Interessen durchzusetzen, wie Veranstalter Prof. Dr. Achim Spiller mehrfach betonte. Andere Branchen dagegen sind gewohnt, sich erst öffentlich positionieren zu müssen; traditionell geschah dies oft besonders durch Pressearbeit. Allerdings, so der Tenor einiger Diskussionen und Vorträge, funktioniert das bisherige Lobbying-Modell der Ernährungsbranche nicht mehr so gut wie früher, und das Bild der Branche in der Öffentlichkeit werde zunehmend bedeutsam. Ein Umstand, den zwar die Markenartikler schon lange erkannt haben, viele Bereiche wie die Landwirtschaft jedoch erst langsam erkennen. Auch Prof. Dr. Reinhard Pfriem (Uni Oldenburg) argumentierte, die Branche müsse deutlich besser mit der Öffentlichkeit kommunizieren. Er sieht hierzu drei Themen als besonders kritisch und die Agenda aus PR-Sicht bestimmend an: Die Gesundheit, den Umgang mit Tieren und den Klimaschutz – also Themen, die schon lange in der öffentlichen Debatte sind, an denen sich nach seiner Einschätzung jedoch z.B. die Fleischwirtschaft bisher kaum beteilige.

Immer wieder thematisiert wurde natürlich auch die Frage der Relevanz von Social Media: auch einige junge Forscher halten nach wie vor die klassischen Massenmedien und dabei vor allem die überregionalen Tageszeitungen – für die entscheidend, um öffentliche Meinung herzustellen. Ein Ausgangspunkt, dem nicht alle Tagungsteilnehmer zustimmten. Es wäre sicher spannend, genauer zu erforschen, wie sich dies zu bestimmten Themen darstellt: Es erscheint mir durchaus eine plausible These, dass z.B. sinnvoll ist, zwischen politischer Öffentlichkeit und Fach- bzw. Themenöffentlichkeiten zu unterscheiden und die Gewichtungen zwischen Massenmedien und Social Media unterschiedlich ausfallen. Auch tauchte immer wieder die Angst auf, Social Media sorge für fragmentierte Öffentlichkeiten und bringe letztlich die Demokratie in Gefahr (warum dies möglicherweise grundfalsch ist, hat Christoph Neuberger vor ein paar Monaten übrigens in seinem sehr lesenswerten „Versuch über das Internet“ niedergeschrieben). Dass die klassischen Massenmedien heute – und hoffentlich auch künftig – eine wichtige Rolle spielen, will ich nicht in Abrede stellen. Allerdings habe ich gelegentlich den Eindruck, dass sowohl die Wechselwirkungen zwischen Social Media und klassischen Massenmedien nicht wahrgenommen werden, und dass von einigen Social Media vor allem als Form der Selbstdarstellung („junge Leute mit zu viel Zeit“) interpretiert werden, dabei aber übersehen wird, dass darin z.B. auch höchst anspruchsvolle Expertenkommunikation stattfinden kann und dass schließlich Social Media bzw. Akteure darin vielen Online-Nutzern helfen, ihr tägliches Informationsmenu zu finden.

Ich habe versucht, in meinem Vortrag dieses Szenario ein wenig herauszuarbeiten, also deutlich zu machen, wie letztlich das soziale Netz das Informationsmenu beeinflussen und damit helfen kann, dem Information Overload zu entgehen und wie in diesem Szenario eine PR-Strategie entwickelt werden kann. Mein leicht gekürzter Vortrag, in dem Insider vermutlich Bekanntes wieder finden, ist auch auf Slideshare:

Bereits im vergangenen Jahr hat eine Tagung zu PR und Ernährungswirtschaft stattgefunden, Infos zur Dokumentation sind hier.

7 Kommentare

  1. Super, herzlichen Dank für den Verweis – und für die Zusammenfassung, dann brauche ich das nicht zu tun.. ;-)

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  2. Sehr wertvoll. Besonders die Präsentation Social Media und ihre Bedeutung für die Öffentlichkeitsarbeit. Habe da manche Antworten gefunden und einige Ansichten geschärft. Vielen Dank fürs Teilen.

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  3. Lieber Herr Pleil, mit Interesse habe ich Ihre Einordnung von Social Media für die Branche verfolgt. Unter http://www.expedition206.com finden Sie das globale Coca-Cola Projekt, das in der Kommunikation stark auf Social Media setzt. Gruss C. Cordes

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  4. Danke schön für den Link, Herr Cordes.

    Zur Einordnung habe ich im Wesentlichen die geäußerten Positionen der Kollegen zusammengefasst, die auch betont haben, dass Markenartikler ein völlig anders Kommunikationsverständnis haben als beispielsweise die Verbände oder die Fleischwirtschaft.

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