Greenpeace vs. Nestlé: Fortsetzung für’s PR-Lehrbuch

Als PR-Dozent sucht man ja immer nach praktischen Beispielen für die Lehre: Deshalb wird es hohe Zeit, dass ich mich einmal bei Greenpeace bedanke – denn die Palmöl-Kampagne gegen Nestlé ist ein wunderbarer Case, an dem sehr vieles gezeigt werden kann und der Stoff für mehrere Lehrveranstaltungen gibt, denn heute fand das Ganze eine interessante Fortsetzung.

Grundsätzlich zeigt das Beispiel auf der einen Seite, wie Campaigning einer NGO im Social Web funktioniert, auf der anderen Seite welche Probleme die Krisenkommunikation eines Unternehmens damit hat (und wie diese im besten Fall gelaufen wäre). Viel wurde hierzu in den vergangenen Wochen geschrieben und gesagt, zusammenfassend sei noch auf den brouhaha-Podcast von Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach und Alex Wunschel verwiesen. Vor allem luebues Feststellung, dass das eigentlich so sperrige Thema der Palmöl-Herstellung in einigen Gegenden und ihrer Auswirkungen für die Umwelt erst durch die unglückliche Krisenkommunikation von der Fachöffentlichkeit in die breite Medienöffentlichkeit gelangt ist (wobei hier dann die Social Web-Auseinandersetzung großen Raum einnimmt), halte ich für einen wichtigen Gedanken.

Ebenso bedeutsam ist, dass sehr schnell ein Reputationsverlust von Nestlé festzustellen ist. Allerdings ist hierzu zu sagen, dass solche Konflikte zwar immer im Netz auffindbar bleiben und Nestlé gerade hier einiges tun muss, auf einer anderen Karte steht aber der langfristige Reputationsverlust z.B. bei Konsumenten. Dieser ist aus meiner Sicht noch nicht abzuschätzen und dürfte stark von den nächsten Schritten beider Seiten abhängen.

Heute liefert Greenpeace nun ein neues Kapitel im Anschauungsunterricht: Vor der Frankfurter Unternehmenszentrale von Nestlé wurde eine große Twitterwall aufgebaut und am Gebäude ein riesiges Plaket entrollt. Mit der ersten Maßnahme kommt das Netz und damit die Botschaft von Verbrauchern direkt zum Unternehmen, die zweite sorgt zusätzlich für emotionale Bilder – mal sehen, wie oft das Plaket morgen in den Zeitungen erscheint. Doch wichtige Zielgrupen dieser Aktionen sind Aktionäre (Jahresversammlung), Mitarbeiter und Unternehmensleitung. Ein Ziel dabei: eine unternehmensinterne Diskussion der Thematik. So schreibt Michelle Bayona im Greenpeace-Blog:

„Die Mitarbeiter haben die Diskussion um ihren Arbeitgeber bereits mitbekommen. „Eins muss man ihnen lassen, gelungene Aktion!“, sagt einer. Fast jeder passiert den Firmeneingang mit einem roten Greenpeace-Infoflyer. Die Forderungen von Greenpeace und die Rolle Nestlés bei der Urwaldzerstörung in Indonesien werden sicherlich gleich heißes Thema im Büro sein.“

Außerdem haben Greenpeace-Aktivisten eine Unterschriftenliste überreicht. Der Vorstandsvorsitzende von Nestlé Deutschland war zu einem Gespräch bereit, das Ganze wurde vom Unternehmen auch sehr schnell per Presseinformation bekannt gegeben. Darin betont das Unternehmen, dass es sich ebenso um den Regenwald in Indonesien sorgt und verkündet:

„Nestlé führt zudem Gespräche mit allen Lieferanten, um Zulieferungen zuverlässig auszuschließen, die aus nicht nachhaltigem Anbau stammen.“

Greenpeace kommentiert wiederum mit „wenig Neues„. Beide Sichten gehören wohl zum Ritual, in dem nun immerhin eine Dialogebene hergestellt ist.

Der Fall hat sich also lehrbuchhaft weiter entwickelt. Und er zeigt: Verhaltensänderungen sind eine Frage der Macht, der Meinungsmacht. Der erste Schritt zur Verhaltensänderung, der Dialog, setzt – wie es Studenten heute Vormittag in einer Vorlesung gut herausgearbeitet haben – ein genaues Zuhören und ein Verstehen der Argumente der anderen Seite voraus, aber genauso die Bereitschaft zum Kompromiss, also der Veränderung des eigenen Verhaltens. Denn nur so kann Glaubwürdigkeit für den nächsten Dialog gesichert werden. Ein schönes Beispiel also, um eine Theorievorlesung aufzulockern und die Modelle von Grunig und Hunt durchzudeklinieren – so langsam scheinen wir uns im Modell der symmetrischen Kommunikation zu bewegen…

Noch ein kleiner Nachsatz:

Eigentlich hätte ich gern ein paar Bilder von der Twitterwall und dem großen Plakat an der Nestlé-Zentrale hier eingebunden. Die stehen auch, wie es sich gehört, auf flickr – allerdings unter strengem Copyright („all rights reserved“), auf twitterisch eher ein #fail

5 Kommentare

  1. Danke für die Blumen – und ja, spannend heute zu beobachten. Sicher wird auch noch der Fall eines Twitteraccounts aufzubereiten sein und der Hinweis von Greenpeace, dass danach angeblich der Zugang zu Twitter unternehmensintern gesperrt wurde.

    Ob der inzwischen gelöschte Twitteraccount, der möglicherweise eine Nesté-Mitarbeiterin im Impressum führte, echt (und damit Astroturfing) war oder nicht, kann ich nicht beurteilen, aber die Reaktionen legen es zunehmend nahe.

    Was denkst du?

    edit (tp_da, 21.4.2010): Der im Kommentar zunächst genannte Name der Dame wurde auf Bitten der Betroffenen gelöscht.

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  2. Ich kann da auch nur spekulieren. In Verbindung mit dem unprofessionellen Xing-Profil würde ich – wie manche andere es bereits auch getan haben – auf eine online etwas unbedarfte Mitarbeiterin tippen, die meint, ihrem Unternehmen etwas Gutes zu tun. Die Twitter-Sperre – so es die unternehmensintern wirklich gibt – könnte der hektische Versuch sein, ähnliche Aktionen anderer Mitarbeiter zu verhindern.

    Kann mir gut vorstellen, dass die Twitterwall vor dem eigenen Bürofenster den ein oder anderen überlegen lässt, sich an der Diskussion zu beteiligen – sieht ja ganz einfach aus….

    Aber wie gesagt, das ist Spekulation, so was könnte theoretisch durchaus auch von außen (schlecht) inszeniert worden sein.

    Insgesamt würde ich das Ganze nicht so wahnsinnig ernst nehmen, entscheidend ist IMO die offizielle Kommunikation bzw. das tatsächliche Verhalten beider Seiten. Klar erscheint mir, dass die Aktion vom Unternehmen nicht intendiert war und schnell abgestellt wurde.

    Nebenbei: Die Frage des Astroturfings ist losgelöst von diesem Beispiel natürlich sehr spannend. Denn es fragt sich schon, ob es gleich zu bewerten ist, wenn ein (Berufs-)Kommunikator mit Tarnkappe bzw. nicht transparent unterwegs ist oder es sich um einen (unbedarften) Mitarbeiter handelt, der vielleicht zum ersten Mal im Social Web unterwegs ist. Sprich: Ist es etwas anderes, ob ich absichtsvoll täusche oder ob ich die Regeln nicht kenne? Juristisch wäre es klar: Unwissenheit schützt vor dem Gesetz nicht.

    Vielleicht wäre es erst Astroturfing, wenn (s.o.) eine solche Aktion von einem Unternehmen wissentlich geduldet und nicht schnellstmöglich abgestellt würde?

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  3. Ja, das ist eine interessante Frage (Astroturfing) – wobei ich schon sagen würde, dass es heute (nach Minimum 5 Jahren Social Media) nicht mehr sein muss, dass ein Unternehmen in die Falle läuft, von übereifrigen Mitarbeiten vorgeführt zu werden. Wenn es hier so war und wenn Nestlé zügig reagiert hat (beides weiß ich nicht) haben alles was gelernt.

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