Dialog und Verantwortungskommunikation – ein paar Überlegungen

Die Frage nach der Verantwortung in der Onlinekommunikation bringt mich zurück auf eine grundsätzliche Diskussion, mit der ich mich vor ein paar Monaten schon mal etwas intensiver beschäftigt habe: Die Frage der Verantwortungskommunikation als Ganzes.

Um den Hintergrund zu erklären, muss ich ein bisschen ausholen: Ich bin gerade dabei, einen Workshop zu Verantwortung in der Onlinekommunikation vorzubereiten, den ich auf dem Grazer Managementforum halten darf. Hier werden wir sicher vor allem die Verantwortung von Organisationen, die im Web kommunizieren, diskutieren. Dabei wird es um grundlegende Regeln verantwortungsvoller Online-PR gehen, wie sie zum Beispiel vom deutschen PR-Rat zur Diskussion gestellt wurden. Stichworte wie Offenheit und Transparenz sind da schnell im Boot. Und da war doch noch der Dialog, den beispielsweise Mirko Lange hier und dort reflektiert hat.

Gerade der Begriff des Dialogs schillert  in der Diskussion um Onlinekommunikation. Oft genug wird er einfach eingefordert, als wäre er ein Selbstzweck, den es im Social Web zu erfüllen gälte. Insofern ist Mirko Langes Einwand sicher sehr bedenkenswert:

„Man muss selbst keinen Dialog führen. Es reicht, über die richtigen Themen zu sprechen.  Das erreicht man, indem man zuhört und die Themen entwickelt, welche die Dialoggruppen interessieren, idealerweise bewegen. Diese Themen kann man dann “über Social Media” kommunizieren – und das meint vor allem Social Media als Kanal [sic!]. Und wenn es richtig gut läuft, dann führen die Menschen den Dialog dann ganz von alleine.“

Mich beschäftigt zumindest in Ansätzen die Frage, was Dialog eigentlich bezweckt und wann er notwendig ist, wobei ich zugegebenermaßen noch in einem assoziativen Stadium bin. Ein paar Annahmen:

  1. Dialog ist für Organisationen die aufwändigste Kommunikationsform.
  2. Organisationen werden sich auf Dialog nur einlassen, wenn es notwendig ist (ökonomisches Prinzip).
  3. Dialog ist also eine Frage der Macht, die sich aus der Beziehung zwischen Stakeholdern und Organisation ergibt.
  4. Dialog kann ein Etikett sein, um eigene Interessen/Positionen besser zu erklären, um sie am Ende durchzusetzen.
  5. Echter Dialog ist lösungsorientiert.
  6. Lösungsorientierter Dialog setzt voraus, Dialogpartner und ihre Argumente zu respektieren.
  7. Lösungsorientierter Dialog impliziert bei allen Beteiligten die Bereitschaft, eigene Positionen in Frage zu stellen und in der letzten Konsequenz das eigene Verhalten zu ändern.
  8. Diese letzte Konsequenz, also Verhaltensänderungen, können für Organisationen notwendig sein, um die Licence to operate zu sichern. Beim Individuum  dürfte es um den Erhalt der sozialen Postionierung gehen.

Dieses Gedankengebäude setzt ein paar Überlegungen fort, die ich im Sommer 2009 in einem Forschungsworkshop zu Verantwortungskommunikation eingebracht habe. Dieser wurde von Klaus-Dieter Altmeppen und André Habisch an der Uni Eichstätt organisiert (pdf).

Aus Unternehmenssicht stellt sich die Problematik der Licence to operate nach meinem Verständnis so dar: Ein Unternehmen kann langfristig nur erfolgreich sein, wenn es sich an Gesetze hält und gleichzeitig öffentliche Akzeptanz für sein Tun (Geschäftsmodell, Produkte, Umgang mit Mitarbeitern etc.) genießt. Neben dem eigentlich richtigen (= öffentlich akzeptierten) Verhalten ist die Komunikation ein entscheidener Faktor auf der Seite der Legitimität. Kommunikation findet hierbei nach innen, in Richtung Massenmedien sowie im vormedialen Raum statt. Für alle diese Bereiche gelten unterschiedliche Anforderungen.

(klicken zum Vergrößern)

Die Frage nach der Legitimität des Handelns eines Unternehmens (bzw. einer Organisation) führt auch zur Frage der Verantwortungskommunkation. Viele Aspekte davon sind unter dem Sammelband (mit dem vielleicht etwas unglücklichen Titel) „Die Moral der Unternehmenskommunikation“ (Hg. Siegfried J. Schmidt, Jörg Tropp) (Rezension) diskutiert.

Für mich ist Verantwortungskommunikation die Kommunikation einer Organisation, in der es um die Verantwortung dieser Organisation geht, mit dem Ziel, die Licence to operate zu sichern. Verantwortungskommunikation hebt sich damit ein bisschen von CSR-Kommunikation ab, da diese oft v.a. als Kommunikation von CSR-Programmen (also ggf. wechselnden Maßnahmen) verstanden wird.

Aufbauend auf die oben genannten Annahmen scheint es mir möglich, zwei Typen der Verantwortungskommunikation zu beschreiben, einen utilaristischen und einen diskursiven Typus: Während der utilaristische Ansatz letztlich auf die Durchsetzung der eigenen Interessen abzielt und höchstens Verständnis für die eigenen Positionen erreichen kann, zielt der diskursive Ansatz nach meinem Verständnis auf die Lösung von Problemen und beinhaltet in der letzten Konsequenz ggf. die Änderung der eigenen Positionen bzw. des eigenen Verhaltens. Ich habe versucht, dies einmal so darzustellen:

(klicken zum Vergrößern)

Ich will betonen, dass diese beiden Typen genauso wie meine Überlegungen zum Dialog Work in Progress sind – Arbeit, die ich hier gern zur Diskussion stelle. Mir ist klar, dass ich mich damit in Felder hineinwage, die deutlich weiter sind als das sonst von mir bestellte Äckerchen. Wünschenswert wäre eine interdisziplinäre Diskussion. Zu besprechen sind natürlich die Schlüssigkeit der hier aufgeführten Aspekte und die Anschlussfähigkeit an bestehende Modelle und Theorien. Zwei meiner Ausgangspunkte sind hierbei die PR-Modelle von Grunig/Hunt sowie mein Versuch, Typen der Online-PR zu beschreiben. Es dürfte nicht verwundern, dass der Typus der diskursiven Verantwortungskommunikation wiederum anschlussfähig sein sollte zu meinem Typus der Cluetrain-PR.

Nun aber zurück vom weiten Feld, im Grazer Workshop soll natürlich praxisbezogen diskutiert werden…

8 Kommentare

  1. Ich werde mich mal kurz zu den Annahmen äussern, die oben aufgezählt sind. Nur zum Hintergrund meines Kommentars: Ich schreibe derzeit meine Diplomarbeit über „Potenziale dialogischer Kommunikationsangebote im Social Web“ im Rahmen der Okom und kann evtl. hier und da meine Sicht der Dinge beisteuern.

    „Dialog ist für Organisationen die aufwändigste Kommunikationsform.“
    Richtig – es erfordert ja erstmal den Aufbau eines gegenseitigen Vermittlungs- und somit weiterführend Verständnisprozesses. Ich tendiere sogar dazu, den Dialog plakativ als „Königsklasse“ der Kommunikation (im Sinne von David Bohm und Co.) zu betiteln.

    „Organisationen werden sich auf Dialog nur einlassen, wenn es notwendig ist (ökonomisches Prinzip).“
    Auch meine Zustimmung, wobei in dieser Sicht auch ein Problem gründet: Notwendigkeit obliegt dann der Einschätzung der Entscheider. Möglicherweise werden Chancen zu dem Dialog, der eher von den Stakeholdern intendiert wird, aber durch fehlende Strukturen nicht angestoßen werden kann, verspielt. Dialogische Strukturen oder Kommunikationsangebote sollten den Start des Prozesses von beiden Seiten ermöglichen.

    „Dialog ist also eine Frage der Macht, die sich aus der Beziehung zwischen Stakeholdern und Organisation ergibt.“

    Und das ist Schade – er sollte eher als Chance, als als lästige Aufgabe gesehen werden, die man nur den Thematiken und Stakeholdern zukommen lässt, die sich als „wichtig“ genug erweisen. Ein wirklicher Dialog erzeugt nach Bohm immer „Neues“, zumn Beispiel neue Wege die gangbar sind. Und genau das verpasst man, wenn man doch nur unwillig reagiert. Ich bin mir aber sogleich bewusst, dass das eher philosophisch zu sehen und sicher nicht einfach real anzuwenden ist.

    „Dialog kann ein Etikett sein, um eigene Interessen/Positionen besser zu erklären, um sie am Ende durchzusetzen.“

    Wenn zumindest das erklären dabei ist, ist schon einmal ein Schritt getan. Oftmals wird ja bloße Interaktion schon als „dialogisch“ gestempelt.

    „Diese letzte Konsequenz, also Verhaltensänderungen, können für Organisationen notwendig sein, um die Licence to operate zu sichern. Beim Individuum dürfte es um den Erhalt der sozialen Postionierung gehen.“

    Inwiefern ist soziale Positionierung gemeint? Neben dem Erreichen des Ziels, würde ich eventuell zusätzlich den Machtaspekt wieder ansprechen – man hat es aufgrund berechtigter Ansprüche oder Kritk geschafft, eine Verhaltensänderung in einem größeren System zu erwirken. Sowas wie ein Triumph der eigenen Meinung und sicherlich auch ein Stolz, als Stakeholder ernst genommen zu werden. Oder ging es hier um den Erhalt der sozialen Positionierung des Individuums durch das Einlenken bzw. die eigene Verhaltensänderung? Nach kurzer Überlegung scheint wohl eher das gemeint zu sein, was es auch nachvollziehbar macht. Meine Ausführungen oben beziehen sich darauf, was passiert wenn der Stakeholder das Verhalten des Unternehmens wirklich ändert.

    Die restlichen Prämissen kann ich nur unterstützen. Was meine Sicht ein wenig von der Ihrigen unterscheidet ist der Aspekt, dass ich eher einen grundlegenden Respekt als Grund für eine Dialogorientierung sehe, nicht unbedingt im Verantwortung – diese kommt bei mir ins Spiel, wenn schon Missstände bestehen oder etwas legitimiert werden muss, ich bin aber auch nicht mit dem Verantwortungsbegriff im CSR-Diskurs vertraut, kann sein dass ich das falsch interpretiere. Verantworten ist für mich immer etwas negativ belegt, evtl. hängt es damit zusammen.

    mfg
    Christoph Bauer

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  2. Danke für den hilfreichen Kommentar und den Link zum Beitrag.

    Im Prinzip ergänzen sich unsere Überlegungen:

    Die Beschreibung des Wesens von Dialog durch Burbule (Involvement, Vertrauen, Respekt, Hoffnung) erscheint mir sehr hilfreich.

    Über das Ziel von Dialogen denke ich immer wieder nach: Da ist auf der einen Seite Gadamers Sicht des wechselseitigen Verständnis – ein Ziel, das auch Roland Burkart in seinem Modell der verständigungsorientierten Kommunikation in den Mittelpunkt stellt. Auf der anderen Seite frage ich mich, ob es im Zweifel (da sind wir bei der Macht) genügt, wenn Kommunkation Verständnis schafft. Ich gewinne zunehmend die Überzeugung, dass man bereit sein muss, seine Positionen und sein Verhalten zu ändern – je nachdem, wie der Dialog ausgeht.

    Zur Machtfrage: Wenn ich schreibe, eine Organisation geht Dialog nur ein, wenn es wirtschaftlich geraten ist, klingt dies vermutlich im ersten Moment erschreckend. Nach meinem Verständnis schließt dies aber zunächst ein, dass ich grundsätzlich zuhöre. Gleichzeitig ist natürlich die Frage, welchen Machtbegriff man ansetzt: Geht es um Macht im Sinne von Druck ausüben, oder auch in einem positiven Sinne, also um beispielsweise eine Organisation besser machen zu können? Dialog könnte in diesem Sinne organisationales Lernen unterstützen.

    Zur Frage, wie ich das mit der sozialen Positionierung einzelner Personen gemeint habe: Ja, hier hatte ich den Gedanken, dass ggf. ein Einlenken hilft, soziale Isolation zu vermeiden.

    Ob nun ein grundlegender Respekt oder Verantwortung der bessere Grund für Dialogorientierung ist, ist spannend. Beides liegt ja nicht weit auseinander. Für mein Empfinden ist Verantwortung (auch nach innen – mit Blick auf die Licence to operate) etwas hilfreicher, aber darüber müsste man separat diskutieren…

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  3. Im Rahmen meiner Untersuchungen bin ich vor Kurzem noch auf stärker anwendungsorientierte Möglichkeiten zur Evaluation der „Dialogizität“ von Webseiten bzw. Blogs und Facebook Fanpages gestoßen. Kent und Taylor haben 1998 Prinzipien für dialogische Kommunikationsangebote im Internet erstellt, die 2007 z.b. von Seltzer und Mitrook aufgegriffen und auf Blogs angewandt wurden. Evtl. ist das interessant:

    – Kent und Taylors Artikel findet man im Public Relations Review, 24(3): 321-334

    – Seltzer & Mitrook (Dialog in Blogs) Public Relations Review 33 (2007) 227–229
    – Bortree und Seltzer (Dialog auf Facebook Profilen) Public Relations Review
    Volume 35, Issue 3, September 2009, Pages 317-319

    Die verwendeten Kriterien nennen sich übrigens:

    „use of a dialogic loop, an easy to use interface, conservation of visitors, generation of return visits, and providing useful information to publics“

    mfg

    Christoph Bauer

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  4. Super, herzlichen Dank für diese tollen Hinweise! Ich war vor längerem mal über Seltzer und Mitrook gestolpert (Blogs), habe diesen Ansatz aber ehrlich gesagt hier nicht dedizidiert aufgegriffen. Die genannten Kriterien sind vermutlich (wenn auch nicht in dieser konkreten Formulierung) weitgehend konsensfähig.

    Bortree und Seltzer hatte ich jedoch bisher nicht wahrgenommen… => Lesestoff

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