Branch: Bessere Diskussionen im Netz?

Beispiel für eine Diskussion in Branch

Die Qualität von Diskussionen bzw. Kommentaren im Netz ist ja eigentlich schon immer ein Thema, das in dieser Woche hier zu Lande durch einen großen Seufzer von Markus Beckedahl wieder besonders viele beschäftigt hat. Sein Ausgangspunkt: Er habe im Blog Netzpolitik zigtausende Kommentare lesen müssen, doch die wenigsten hätten wirklich einen guten Beitrag zur Diskussion gebracht. Abgesehen davon, dass Markus‘ Rant hohe Wellen schlug (und ohne auf deren Verlauf einzugehen), finde ich spannend, dass mit Branch eine Plattform aufgebaut wird, die gerade für Diskussionen entwickelt wurde – und zwar mit Qualitätssicherung. Allerdings mit einigen Unterschieden zu Kommentaren in Blogs. Dank der Einladung des Kollegen Heinz Wittenbrink konnte ich mich in den letzten Tagen ein bisschen umschauen in Branch. Erste Eindrücke.

Was ist Branch?

Branch ist eine Diskussionsplattform, die ein bisschen an die guten alten Foren erinnert – aber hübscher ist: Jemand eröffnet eine Diskussion, andere antworten.

  • Erste Besonderheit dabei: Die Diskussionsteilnehmer werden vom Initiator eingeladen, es diskutiert also ein exklusiver Kreis – vermutlich von Leuten, die sich schon ganz gut kennen. Die Diskussion baut also auf ein relativ stabiles soziales Netz.
  • Zweite Besonderheit: Jeder Teilnehmer kann immer nur einen weiteren Gesprächspartner dazu einladen.
  • Dritte Besonderheit: Aus jedem Statement lässt sich eine neue Diskussion abzweigen.
  • Viertens: Diskussionen sind immer öffentlich und Lesern abonnierbar.
  • Fünftens: Wer eine interessante Diskussion entdeckt und sich einmischen möchte, muss zunächst brav anstehen und den Moderator fragen. Erst nach seinem „ok“ darf man auch mal was sagen.

Durch die Begrenzung der Mitgliedschaft in einem Threat soll die Qualität der Diskussion hochgehalten werden. Technisch ist das Ganze eng mit Twitter verknüpft (was so bleiben dürfte, da zwei der Twitter-Gründer an Branchbeteiligt sind), und so lassen sich einzelne Statements per Twitter weitertragen oder andernorts einbinden.

Wie fühlt sich das an?

In der ersten Diskussion, an der ich teilgenommen habe und die Heinz Wittenbrink initiiert hatte, habe ich das Ganze als fokussiert wahrgenommen – eine angenehme Konzentration auf das Wesentliche. Einfach schreiben, abschicken, die Begrenzung auf 750 Zeichen pro Statement einhalten. So weit so angenehm. Ein Nebenzweig (also eine neue Diskussion, die von einem Statement ausgeht) lässt sich ebenfalls problemlos starten. Allerdings: Wer das macht, muss wieder von vorn Gesprächspartner einladen. Ärgerlich aus meiner Sicht: Derjenige, der das erste Statement dieser neuen Diskussion gemacht hat, ist nicht automatisch dabei in der Runde.

Ansonsten: Das Initiieren von Diskussionen, die gut laufen, dürfte eine hohe Kunst sein – hier geht es besonders um die richtige Auswahl der Gesprächspartner. Fragt sich, wie sich das entwickelt: Denn ich kann mir vorstellen, dass einige Leute künftig laufend Anfragen zur Teilnahme an Branch-Diskussionen erhalten. Schön vielleicht für Politiker, für manch anderen vielleicht irgendwann zu viel des Guten.

Auf der Startseite von Branch gibt es ein paar Empfehlungen

Ein anderes Thema ist die Orientierung innerhalb von Branch: Denn so richtig klar geworden ist mir nicht, inwiefern Nutzer einfach in Branch Diskussionen entdecken sollen. Zwar gibt es wie im Screenshot gezeigt auf der Startseite Empfehlungen, aber nach welchen Kriterien die nach oben gespült werden, habe ich nicht feststellen können. Klar scheint zumindest, dass eine thematische Sortierung – etwa mit Tags – nicht vorgesehen ist, ebenso wenig wie Themenprofile, die Nutzer anlegen könnten. Insofern gehe ich davon aus, dass vor allem darauf gesetzt wird, dass interessante Diskussionen bei Branch erst durch Hinweise bei Twitter (oder andernorts) entdeckt werden dürften.

Ein Einordnungsversuch

Die paar Leute, die in Heinz‘ Branch diskutiert haben, waren überwiegend skeptisch. Tenor: Eine Plattform mehr, diskutieren kann man schon längst auf etablierten Plattformen. Heinz sieht das anders:

„Kann man Plattformen wie Branch (und davor Google Wave) nicht als Ergebnisse einer Ausdifferenzierung des Bloggens verstehen? Microblogs (wie Twitter) und Tumblelogs lassen einen ja auch leichter und vielleicht besser etwas tun, was auch mit einem normalen Blog möglich war. Die Frage wäre dann: Unterstützt Branch bestimmte Formen des Bloggens (explizites Fragestellen, Weitergeben von Themen wie bei Blogparaden) so gut, dass es dafür einfacher ist, zu „branchen“ als zu bloggen?“

Worauf Heinz auch hinweist: Anders als im Blog sind bei Branch alle Beteiligte gleichermaßen für eine Diskussion verantwortlich.

Nächster Schritt im Web-Publishing?

Wie einige andere neue oder gerade entstehende Dienste wird Branch von manchen als Baustein eines nächsten Schrittes des Web-Publishings gesehen. ReadWriteWeb argumentiert, dass mit Diensten wie Branch, app.net oder Medium sowohl die Qualität gesteigert wie gleichzeitig die Schwellen des Publizierens gesenkt werden sollen. Botschaft: Ich muss kein Blogger sein, um zu Publizieren. Ich würde ergänzen: Aber zu sagen oder zu fragen haben muss ich sehr wohl etwas. Inhaltsarme oder trollige Kommentare wie von Markus Beckedahl kritisiert, dürfte es in einem solchen Umfeld kaum geben. Gleichzeitig passen Dienste wie die Genannten in eine aktuelle Diskussion, in der es um das Herauslösen von Inhalten weg von Websites zu Informationsströmen geht – eine Diskussion übrigens, die so neu gar nicht ist.

Szenarien

Für mich als PR-Mensch ist noch weitgehend unklar, wie sich Branch einsetzen lässt und vor allem: wie es sich entwickelt. Ob ein Dienst, der noch nicht vollständig „public“ ist, genügend Schwung bekommt, muss sich ebenfalls zeigen – diese Entwicklungszeit muss man ihm zugestehen. Aber ein paar erste Einsatzideen habe ich. So kann ich mir beispielsweise vorstellen, dass mit Branch eine Art Reporter-Team über eine Veranstaltung berichtet – sei es ein Konzert, eine Politikveranstaltung, eine Fachmesse oder eine Tagung. Eine Alternative also zum Live-Bloggen. Besonders charmant finde ich, dass ausgehend hiervon viele Einzeldiskussionen abgezweigt werden können. Möglich sind sicher auch Fachdiskussionen von Experten in der B2B-Kommunikation, aber auch in der Nonprofit-Kommunikation. Oder kleine Challenges, die man in der B2C-Kommunikation stellen könnte. Hier könnte sicher mit dem Reiz der Verknappung (also die Exklusivität des Teilnehmerkreises) gespielt werden. Allerdings frage ich mich schon, wie außerhalb dieses Spezialfalles gerade in der PR die von Branch propagierte Abgeschlossenheit einzuschätzen ist. Im ersten Moment scheint mir das ein Widerspruch zu sein zur schon lange diskutierten Offenheit der Kommunikation, die viele Unternehmen erst einmal erreichen müssen.

Fazit

Alles in allem ist Branch derzeit für mich ein interessantes Beispiel für neue Webdienste, die Inhalte in den Vordergrund stellen – nach den bildorientierten Services wie Instagram und Pinterest geht es dabei nun vor allem um Texte und Diskussionen. Die tatsächliche Relevanz und die Einsatzmöglichkeiten einer solchen Plattform müssen sich sicher noch zeigen.

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7 Kommentare

  1. Schon ein wenig mehr als nur ein bisschen „frischer Wein in alten Schläuchen“. Dort wo ist meiner Überzeugung nach hakt ist die Usabiliy für den der einen Beitrag gezielt und gegebenenfalls auch an mehreren Stellen im Bezug setzend einbringen möchte, genauso wie eine hinlängliche geringe Arbeit für die Administration. Betreff der zentralen Prozedur für die Teilnahme erscheint es mir trefflicher zu ernst zuzulassen und dann das was Inhaltsfrei oder gar unsinnig ist „auszuschalten“ und dafür sollte weder ein Schutz für frische noch für bestehende TN existieren, ggf. aber bei eine Nachbesserungsoption – oder?

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  2. Vielen Dank für diesen umdassenden Artikel. Für mich ist Branch ein bisschen klarer geworden und das Potential wird deutlicher.
    Branch scheint sich da ja tatsächlich auf das Wesentliche zu konzentrieren, die Diskussionen.
    Aus Bloggersicht kann ich hierzu nur sagen, dass für mich Branch die Diskussionen aus den Blogs heraus trägt, wo ich mir mehr wirkliche Kommunikation in Blogs wünsche. Warum soll ich in einem weiteren Netzwerk diskutieren? Ich schreibe doch dann lieber in themenrelevanten Blogs oder bei Twitter.

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  3. Eine schöne Tour d’Horizon über einen neuen Dienst. Meine spontanen Empfindungen (ich erhielt ja von Heinz Wittenbrink eine Einladung in den gleichen Thread):
    1. Schon wieder ein neues Angebot, wo soll ich das bloss noch platzieren.
    2. Ausprobieren würde ich es gerne, aber die Diskussion läuft gerade jetzt und ich habe momentan andere Pendenzen, die anstehen. Unhöflich will ich aber nicht sein, wenn ich schon eine Einladung bekommen habe.
    3. Es ist gerade die Offenheit, das Angebot einer Fragestellung oder Information die eine ganze Bandbreite von Menschen über die gleichen Interessen zusammenführt. Genau diese Möglichkeiten von Web 2.0-Anwendungen bestechen gegenüber der e-Mail, die auf ausgesuchte Empfänger fokussiert ist. Branch löst das wieder auf: Der Diskussionsleiter sucht sich gezielt jene Leute, von denen er einen wertvollen Beitrag erwartet und lauft Gefahr, links uns rechts Menschen zu vergessen, die neue Perspektiven und Impulse einbringen.
    Ich schaue da sicher nochmals rein, bin aber noch skeptisch. Das Ganze erinnert etwas an Quora, das ich zwar auch schätze, aber aus Kapazitätsgründen kaum nutze (käme keine Mailbenachrichtigung über neue Themen, hätte ich den Dienst schon lange wieder vergessen).

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  4. Danke für Eure Einschätzungen.

    Ja, mir ging’s zunächst auch wie @minsworld: nicht noch ein Angebot, das vom Blog wegführt, dachte ich. Ein Gedanke, der bei mir wohl reflexartig entsteht, weil ich eigentlich gern mehr bloggen möchte und das Blog stärker in den Mittelpunkt meiner Online-Aktivitäten stellen würde. Wobei ich manchmal fürchte, dass das (zumindest in Bezug auf mich) zu naiv ist. Ein Beispiel: Statt kurzer Blogbeiträge zu lesenswerten Artikeln anderswo teile ich sie eben rasch auf Facebook. Insofern denke ich, dass sich zeigen muss, ob Branch für Diskussionen eine Lücke schließt ohne dass das zur Entweder-Oder-Frage wird.

    Gestern hatten Dennis Sulzmann, Heinz Wittenbrink und ich auf Twitter noch ein bisschen weiter diskutiert. Da hatte Heinz den guten Vergleich zu Podcasts: Ein paar Leute setzen sich (virtuell) zusammen und quatschen – und wen’s interessiert, liest mit. Übrigens hatte ich während der Diskussion ein, zwei Mal das Gefühl: Jetzt müssten wir eigentlich zu Branch wechseln – wegen der 140 Zeichen und zur besseren Nachvollziehbarkeit der Diskussion.

    Sehr spannend ist für mich der von Marie-Christine beschriebene soziale Effekt: Man ist eingeladen zu einer Diskussion und will nicht unhöflich sein, aber man hat gerade ganz anderes zu tun. Das ist sicher sehr zweischneidig: Einerseits schafft der Mechanismus mehr Verbindlichkeit, andererseits kann gerade das nerven. Immerhin: Im Gegensatz zu Diskussionen auf Twitter sind Branch-Diskussionen nicht für den Moment gemacht, sondern können sich auch über Tage hinziehen.

    Trotz allem: Ob ich’s regelmäßig nutzen werde, weiß ich noch nicht.

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  5. Dass in einem elitären Zirkel weniger Noise entsteht, ist ja nun per se keine Überraschung. Das selbe ließe sich letztlich auch erreichen, wenn das Kommentarsystem auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt wäre.

    Für jedes Brötchen einzeln anzustehen, wäre nicht meine Art, wie ich einen Einkauf organisiere. Und im Hinterkopf schwirrt mir noch eine Theorie herum, dass sich eine Peer group bevorzugt mit Leuten umgibt, die die gleiche oder eine ähnliche Meinung teilen. Wie ohne Fremdeinfluss bei so einem Invite-Prinzip neue Ideen entstehen sollen, sehe ich kaum.

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  6. Ja, das ist sicher nicht einfach. Denke, da dürften Neugier und soziale Kompetenz der Moderatoren entscheidend sein – oder eingespielte Teams verlagern ihre Diskussionen, die sie sowieso führen, in einen anderen Kanal. Ob das dann für andere, die mehr oder weniger nur zuhören dürfen, interessant ist, ist eine andere Frage.

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