Wenn Silos bröseln, helfen Markenstärke oder starke Personen

Eigener Kopf….

Es ist schon bitter: Da entdecken viele Unternehmen und Institutionen gerade mal Facebook – beziehungsweise ringen sie sich durch, dort zu sein, wo vermeintlich alle sind -, da stellen andere schon wieder die Frage, ob Facebook nicht eine Art Riesenkaufhaus in der Fußgängerzone sei, das vielleicht den Durchschnitt anspricht, während die Jungen und die Meinungsbildner lieber durch die Stadtteile schlendern und in kleine Boutiquen oder Eckkneipen mit ihrem jeweils ganz eigenen Stil gehen. Dass Plattformen im Web kommen und gehen, ist an sich nicht neu. Und auch, dass Facebook junge Nutzer verliert, ist immer wieder mal angesprochen worden. In einem sehr lesenswerten Artikel hat sich Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach einige Gedanken über das „big picture“ gemacht. Ein paar dieser Überlegungen möchte ich aufnehmen und auch nochmal aus der Perspektive der PR ansehen. Mein Eindruck: Für ein paar Unternehmen oder Organisationen kann es sogar leichter werden, wenn sich die Silos auflösen. Für viele aber eben nicht.

Dass Facebook bei einigen Nutzergruppen – speziell bei jungen – an Attraktivität verliert, ist schon vielfach festgestellt worden. Ob man sich harte Zahlen anschaut oder die eigenen Kinder beobachtet, wie Wolfgang es tut: Facebook hat für sie eine immer geringere Bindungskraft. Dies deckt sich auch mit meinen Beobachtungen. Nicht mal mehr der Chat ist meinen beiden Teenagern dort wichtig. Wenn man mal Lust hat, geht man dort hin, so wie man halt in eine Schulkantine geht: Vielleicht gibt’s ja was halbwegs Vernünftiges zum Essen und wahrscheinlich hängt man dann doch ein bisschen mit anderen ab, die man gerade trifft. Aber eigentlich macht man beides nur im Notfall. So weit, so gut.

… oder Silo?

Kontextbezogene Plattformen

Was Wolfgang meint, wenn er davon spricht, dass sich Silos auflösen, ist dies: Viele Nutzer – vor allem junge – nutzen immer mehr Plattformen und Dienste, und zwar jeweils für ganz unterschiedliche Anlässe und Aufgaben. Da gibt es reine Chat- bzw. Messaging-Plattformen, eigene für die Schnappschüsse, andere für Musik, und auch Twitter scheint bei Jüngeren beliebter zu werden. Für unterschiedliche Kontexte gibt es als verschiedene Orte. Und immer sind sie zugänglich – und zwar über das Smartphone. Wichtig ist zudem Wolfgangs Hinweis auf die jeweiligen kulturellen Codes innerhalb einer jeden Plattform. Gemeint ist damit, dass jede Plattform eine eigene soziale Umgebung ist mit eigenen Feinheiten in der Kommunikation etc. Soziale Interaktion differenziert sich also im Web aus, und man könnte behaupten, dass die Fähigkeit, sich an solch unterschiedliche Umgebungen anzupassen (bzw. sie überhaupt in ihren Eigenheiten wahrzunehmen) ein ganz spezieller Aspekt von Web Literacy ist.

Die anderen sind dabei

Einen Gedanken möchte ich in diesem Szenario ergänzen, den ich bei Josh Miller, dem Gründer von Branch, gefunden habe: Er arbeitet sehr treffend heraus, dass sich zwar die Zahl der Plattformen erhöht, auf der sich die Leute bewegen, aber dass die meisten Nutzer dort doch meistens mit den selben Leuten abhängen. Der Grund: Das Adressbuch auf dem Smartphone (ich würde es um die Facebook-Kontakte ergänzen). Was hat es damit auf sich? Kaum meldet man sich auf einer weiteren Plattform an, will diese abgleichen, welche der eigenen Kontakte schon da sind, damit man sich mit diesen vernetzt. Oder man bekommt sofort eine Nachricht, wenn sich ein Buddy nun auch bei einer Plattform angemeldet hat, die man selbst nutzt. Gerade durch Smartphones, so Miller, wird also begünstigt, dass man den eigenen „Social Graph“ immer dabei hat – wobei ich davon ausgehe, dass viele Nutzer nicht jeden Kontakt in jedem Umfeld akzeptieren, sondern je nach Kontext neue Teilmengen des Social Graph den Ausgangspunkt bilden und erst dann bis zu einem gewissen Grad neue Beziehungen in einer Plattform aufgebaut werden. So bin ich beispielsweise bei Foursquare mit einer Vernetzung mit anderen viel zurückhaltender als auf Facebook, Path handhabe ich völlig restriktiv, während ich bei Instagram recht vielen Leuten folge, die ich überhaupt nicht kenne, aber mit denen mich ein kultureller Code verbindet, um im Bild zu bleiben.

Eine Kommunikationssicht

Als PR-Mensch interessiert mich natürlich, was dieses Szenario, das ja in gewisser Weise Zukunftsperspektiven für das Social Web skizziert, bedeuten kann. Beginnen wir mit Facebook. Teilweise wird ja so getan, als wäre die Plattform das kommunikative Allheilmittel. Schließlich könne man jung und alt dort erreichen, und das dann noch in großer Zahl. Endlich eine Lösung für alles, mögen sich da manche Marktiers freuen. Dass sie sich Aufmerksamkeit zu einem gewissen Grad erkaufen müssen, scheint den meisten längst akzeptabel. Nochmal Wolfgang:

What we see is kids and multipliers moving away from the silo. Still the majority is there. Especially middle aged people with average internet skills maximum. So talking with marketers, Facebook is great to reach 25 to 39 year old middle class consumers. Or it might be if you are able to invest enough advertising dollars inside Facebook.

Was bedeuten diese Entwicklungen also aus Kommunikationssicht? Einiges können wir vermutlich erst erahnen, müssen diskutieren und dann (Forschung!) überprüfen. Zunächst: Wenn man sich bewusst ist, wen man wirklich auf Facebook erreicht und wie, ist ja schon vieles gut. Vieles wissen wir aber auch nicht so richtig bzw. lernen durch Ausprobieren. Ein Mini-Beispiel: Mit unserer kleinen Facebook-Seite zu unserem Mediencampus hatten wir ursprünglich die Idee, dort auch Studieninteressenten zu erreichen. Ergebnis: Auf der Seite sind Alumni und einige unserer Studenten, was uns freut. Aber Studieninteressenten? Fehlanzeige. Gerade eben zeigt eine Befragung aus der Schweiz, dass Jugendliche Facebook nun wirklich nicht nutzen, um sich Infos zu Studium, Berufsausbildung oder Arbeitgebern zu holen. Ist (Nachwuchs-)Recruiting auf Facebook also überschätzt?

Ich finde zum Beispiel die Frage extrem spannend, ob und unter welchen Bedingungen Jugendliche Unternehmen, Marken oder Organisationen im Social Web überhaupt akzeptieren. Meine Vermutung: Wenn, dann muss es einen sehr engen Bezug zur eigenen Lebenswelt geben. Heißt: Eine Marke, die ich schon immer cool finde, akzeptiere ich vielleicht. Ein Unternehmen, das ein ausnahmsweise gelungenes Recruiting-Video gemacht hat, like ich deshalb noch lange nicht. Vielleicht reiche ich das Video weiter. Weiß ich aber am nächsten Tag noch, welcher Firma der Spaß zu verdanken war? Vielleicht können wir in einigen Wochen zu diesen Fragen und Hypothesen etwas mehr sagen: Ein Team aus unserem Masterstudiengang Medienentwicklung bereitet gerade Fokusgruppen mit Jugendlichen aus verschiedenen Schultypen vor, um mehr zum Thema Jugendliche und Firmen/Marken im Social Web zu erfahren.

Marken sind nicht im Adressbuch

Zurück zum „Un-Bundeling“ wie Wolfgang es nennt. Was bedeutet es denn für Organisationen und Unternehmen, wenn kontextbezogen ganz unterschiedliche Plattformen und darin unterschiedliche kulturelle Codes genutzt werden? Die Sache wird vermutlich aufwändig. Denn während Nutzer ihren Social Graph von einer Plattform auf die nächste – leicht rekonfiguiert – mitnehmen, sind Marken oder Unternehmen typischerweise nicht Teil des Adressbuches. Denn einfache Likes oder Followings nimmt man nicht von einer Plattform zur nächsten mit. Unternehmen und Marken sind eben keine Personen, die im Adressbuch stehen. Das bedeutet, dass Unternehmen jedes Mal wieder von Neuem versuchen müssen, Teil der Wahrnehmungswelt von Nutzern zu werden, wenn sie überall eine Begegnung schaffen möchten. Hierzu müssen sie großen Aufwand betreiben, sich den jeweiligen kulturellen Codes anpassen und abhängig vom jeweiligen Umfeld in der Lage sein, ihren Stakeholdern einen Nutzen schaffen, auf dass diese eine Verbindung als lohnend empfinden.

Vorstellbar ist aber auch eine andere Konstellation: Nämlich die, dass Marken oder Unternehmen über Personen kommunizieren. Habe ich mich mit dieser Person schon mal irgendwo vernetzt und ist diese ok, so vernetze ich mich mit ihr wahrscheinlich auch auf einer anderen Plattform. Dass die Person eine Marke, ein Unternehmen repräsentiert, ist nachrangig, dürfte aber zu gegebener Zeit dennoch wahrgenommen werden.

Folglich wäre die Hypothese, dass in der Onlinekommunikation künftig entweder sehr starke Marken besonders aussichtsreich sind oder Unternehmen/Organisationen, die es schaffen, starke Botschafter zu entsenden. Wobei ich bei solchen Botschaftern eine weite Spanne sehe: Dies kann ein echter Star sein, der zum Beispiel für ein Konsumgut steht, es kann aber auch ein Experte sein, der in der B2B-Kommunikation sein Wissen teilt und so die Kompetenz seines Unternehmens unterstreicht oder der Handwerker um die Ecke, der im Netz einfach nur er selbst ist – aber immer ein sympathischer und nahbarer Mensch. Findet dieser dann eine Umgebung, in die er genau passt, versteht er deren kulturelle Codes, kann Beziehungspflege im Social Web hervorragend gelingen – ohne dass man mühsam um Aufmerksamkeit heischen muss. Während Firmen, die traditionell Zielgruppen bearbeiten und in Reichweite denken, das Aufbrechen von Silos bedauern mögen, kann es für andere durchaus sinnvoll sein, genau am richtigen Fleckchen mit den für sie wirklich relevanten Leuten in Kontakt zu sein. Und das bedeutet wohl letztlich ein bisschen weniger Marketing und ein bisschen mehr Kommunikation. Eine Situation übrigens, über die wir schon mal diskutiert hatten – kurz bevor Facebook groß geworden ist.

Update (24.5.): Daniela A. Caviglia hat sich netterweise mit diesem Beitrag intensiv auseinandergesetzt und berechtigte kritische Fragen gestellt. Einen Aspekt will ich hier deshalb noch etwas stärker herausarbeiten: Mein Eindruck ist, dass die meisten Unternehmen nicht die Angst haben müssen, auf immer mehr der aufkommenden Plattformen unterwegs sein zu müssen, sondern dass genauere Analysen und Planungen notwendig sind, um an der richtigen Stelle auf die richtige Art zu kommunizieren. Denn überall präsent sein, muss vielleicht eine Marke wie Coca Cola – für viele andere ist das wohl kaum die richtige Strategie. Herausfordernder wird die Sache aber sicher für Berater und Agenturen, denn sie müssen die vielen einzelnen Boutiquen und Treffpunkte im Netz gut kennen und verstehen.

12 Kommentare

  1. Lieber Prof. Pleil,
    danke für diesen interessanten Beitrag, den ich an vielen Stellen unterschreiben kann. Dennoch fällt mir auf, dass von vornherein
    davon ausgegangen wird, Unternehmen müssten ihre potentiellen
    Stakeholder „erreichen“. Sie müssten als „Botschafter“ auf den
    Plattformen agieren. Hier widerspreche ich, denn es zeigt, dass
    der Grundgedanke des Wechsel der originären Push-Kommunikation
    zur Pull-Kommunikation der Online-PR nicht umgesetzt wird.

    Wieso sollen die Unternehmen denn auf ihre Zielgruppen zugehen?
    Wieso nicht einfach auf klar überschaubaren Unternehmens-Präsenzen
    die Inhalte für die User aufarbeiten und zur Verfügung stellen, so dass
    diese bei Interesse auf das Unternehmen zu kommen. Leider negieren
    gefühlte 90% aller Beiträge der Online-PR sowohl in den Fach- wie
    Branchenmedien diesen Aspekt. Letztlich versuchen die Unternehmen
    erneut, ihre Botschaften an die Nutzer heran zu tragen, wie wir es aus
    der klassischen PR und dem Marketing weit vor dem Internet kennen.

    Ergebnis: Die User sind genervt und wenden sich ab. In einer Vielzahl
    der Fälle wollen die Akteure nicht mit Unternehmen kommunizieren,
    was Studien auf Facebook immer wieder deutlich machen. Leider vermittelt
    mir der Beitrag das Gefühl, dass erneut versucht wird, auch die neuen
    „Fleckchen“, nach dem Wegbruch der „Silos“ zu besetzen. Man könnte
    glatt von einer Verfolgung der User sprechen. Egal, welche Plattform
    in den Social Media entsteht, die Unternehmen versuchen sofort, diese
    für Ihre Zwecke zu nutzen. Das ist Schade und führt nur dazu, dass viele
    Agenturen viel Geld verdienen können und eigentlich etablierte
    Social Media Strategien durch immer wieder neue digitale Offerten
    des Netzes unterlaufen und verwässert werden.

    Fazit: Aktuell ist ein Großteil der Beiträge der Online-PR stark von
    Aspekten des Marketings geprägt, was final aber nicht immer
    zielführend ist. Von dem vor Jahren bereits favorisierten
    Wechsel von der Push- zur Pullkommunikation ist aktuell nicht
    mehr viel zu spüren. Wieder versuchen die Unternehmen, fast
    krampfhaft, alle Plattformen des Netzes „zu besetzen“, um potentielle
    Stakeholder zu erreichen.

    Vielleicht bin ich konservativ, aber manchmal ist weniger mehr.
    Wenn die User Interesse an einem Unternehmen haben, dann
    kommen sie auf dieses zu. Daher ist es die Hauptaufgabe
    zukünftiger Unternehmenskommunikation entsprechende Angebote zur Verfügung zu stellen.

    Man kann nicht auf allen Hochzeiten auf einmal tanzen…

    Liebe Grüße
    Christian Salzborn

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  2. Als sich im 15. Jahrhundert die innovative Technik des Druckens immer weiter verbreitete, produzierten die Menschen zunächst – nein, nicht innovative Texte und Medien – sondern reproduzierten die bekannten, vornehmlich die Bibel. Kein Wunder also, dass wir die durchaus innovative Technik des Internets nutzen, um Bekanntes zu reproduzieren. Das Silo Facebook ist eine Reproduktion von Klassenbuch, Dia-Abend, Vereinsversammlung, etc. mit höherer Reichweite und Dynamik. Vor allem aber ist Facebook ein hervorragendes soziales Content Management System für im Kern konservative Menschen, also für (fast) alle.

    Das Internet wiederum als Infrastruktur, Medium und Interaktionsraum wird zum Abbild und Teil der Wirklichkeit und die neuen Plattformen und Apps schließen die bestehenden Lücken, also die Räume, in denen sich Menschen im Rahmen ihrer Sozialisation voneinander abgrenzen. Die Vielzahl entspricht dabei der Komplexität von Identitätsbildung und erreicht sie dennoch nicht, denn Kommunikation reduziert per se Komplexität.

    Genau deshalb helfen Marken und Personen, wobei ich bei letzteren eher von Personal Brands sprechen will, die nicht Persönlichkeit sind, sondern das beliebig komplexe Abbild psychischer Systeme aka Menschen. Was wiederum heißt, dass jeder Mensch eine Personal Brand ist, denn wir können ihn oder sie nur durch Kommunikation überhaupt wahrnehmen. Diese Brands wiederum sind mitnichten Ergebnis von Push-Kommunikation, zumindest nicht von Push-Kommunikation der Marken, Corporates etc., sondern Ergebnis von Push-Kommunikation des Publikums im Sinne von Zuschreibungen, Erwartungen, etc. (abgesehen davon, dass die Differenzierung Push/Pull nicht unbedingt hilfreich ist).

    In Kurz: Wir erzeugen uns selbst (und Marken etc.) durch Kommunikation. Kommunikation, die deutlich komplexer ist als Marketing, weshalb ich deutlich für ein Kommunikationsverständnis werbe, dass die Relationen zwischen kollektiven Akteuren (Corporates, Marken) und Individuen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Relationen, also Netzwerke, die Kontext- und Situationsbezogen permanent switchen, die aber immer durch Kommunikationen strukturiert werden, die sich dem mechanistischen Verständnis der Marketinglehre entziehen.

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    1. Gerade die Trennung von Push und Pull ist sinnvoll und notwendig, um den zunehmenden Aspekt des Marketings aus der Online-PR herauszufiltern.
      Und jeden User als „Personal Brand“ zu bezeichnen zeigt, dass auch hier
      das Verständnis verloren geht, Menschen als Menschen zu sehen; losgelöst
      von jeglichen unternehmensdeterminierten Ansätzen, in denen die Akteure
      des Web 2.0 nur Schrauben einer digitalen Strategie darstellen. Warum fällt
      es den „Kommunikations-Profis“ so schwer, einen Gang zurück zu schalten?Sich auf professionelle Corporate-Websites, einen guten Corporate-Blog
      und Facebook und Twitter als Themenmultipliktoren und News-Hubs
      zu besinnen. Weniger ist mehr! Wieso überlassen wir nicht den Individuen
      die Entscheidung, ob sie etwas von dem Unternehmen wollen, oder nicht?
      Eine Kfz-Werkstatt fährt ja auch nicht bei potentiellen Kunden vor und
      fragt, ob gerade was am Auto kaputt ist. Nein, sie wartet, bis der Kunde
      vorbei kommt und ein Anliegen hat und überzeugt DANN mit Service und
      Leistung.

      Ansonsten sind die Ausführungen, auch wenn sie sehr an die schwerverständlichen Texte von Luhmanns Systemteorie erinnern,
      durchaus nachvollziehbar :)

      Grüße

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      1. Was genau sind „User“? ;-)

        Und nein, Menschen sind nicht nur Menschen. Menschen spielen nämlich unglaublich viele Rollen. Rollen, die vor allem durch die Zuschreibungen durch andere (Push-Kommunikation) strukturiert werden. Eine dieser Rollen kann die des Kunden sein. Und ein Unternehmen, dass ein An-gebot macht, pushed quasi per definitionem. Die Gründung einer Unternehmung ist bereits Push-Kommunikation. Und ganz ernsthaft: Kein Kunde fährt zu einer Autowerkstatt, über die er nichts weiß und die sich irgendwo im Hinterhof versteckt, wobei viele zu den versteckten Werkstätten fahren, die gute Arbeit machen, über die dann viele Reden, wobei die Gründung selbst natürlich eine (Push) Intervention in den Markt war.

        Der wesentliche Perspektivwechsel, und dabei bin ich ganz bei Dir, ist, dass die Unternehmung (Marke etc.) selbst publikumsdeterminiert ist und in einer durch die Digitalisierung geprägten Umwelt nicht mehr auf die herkömmlichen Strategien der Überwältigungskommunikation setzen kann, weil das Publikum sich gegenüber austauschbarer Werbung immunisiert und höhere Ansprüche an das Produkt stellt.

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  3. Hm, ich bin etwas hin und hergerissen. Natürlich will auch ich nicht auf jeder Plattform von Unternehmen oder Marken verfolgt werden. Und mehr Pull als Push zu planen, halte ich für eine gute Idee. Allerdings schüttet man aus meiner Sicht das Kinde mit dem Bad aus, wenn man von Pull komplett weg möchte.

    Nehmen wir die neue S-Klasse. Hat diese große Aufmerksamkeit bekommen, weil ein paar gute Inhalte auf die Website gestellt wurden, oder hat da Push-Kommunikation und großes Brimborium (mindestens mit Blick auf Journalisten, aber auch an einigen Stellen im Web) nicht doch eine Rolle gespielt?

    Vielleicht ist es ja vor allem eine Frage des Verhaltens von Akteuren (auch Unternehmen, Personen) und der Content Strategie, ob sie mich nerven und ich mich verfolgt fühle. Vielleicht genügt es ja einfach, präsent zu sein, Fragen dort beantworten zu können, wo sie entstehen und gelegentlich Beiträge leisten zu können, die wertvoll für die anderen sind.

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    1. Ja, vielleicht sollte man an dieser Stelle auch zwischen „Alltag“ und „Specials“ oder „Events“ unterscheiden. Natürlich muss man bei einer Weltpremiere raus
      an die Öffentlichkeit und die Inhalte im Netz streuen. Danach sollte man sich
      aber wieder zurückziehen und für Fragen und weiterführende Inhalte entsprechende Offerten (auch an die Journalisten) tätigen.

      Es ist wohl der goldene Königsweg zwischen einer gelungenen Push-Kommunikation, die die Wünsche der Zielgruppe erfüllt und einer
      Pullstrategie, die die Interessen des Unternehmens wiederspiegelt
      ohne dabei in „Überkommunikation“ (Stoltenow) auszuarten.

      Grüße

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    2. Ich halte die Unterscheidung zwischen Push und Pull im Kommunikationsmanagement nicht für zielführend. Natürlich gibt es Instrumente, die sich eher als Push verstehen lassen, wie einen Newsletter, den eine Unternehmung aussendet, Bannerwerbung, etc. Das aber ist die taktische Ebene und hilft nicht wirklich weiter, wenn es um eine strategische Betrachtung geht. Auf der strategischen Ebene bedingen sich push und pull gegenseitig bzw. jede Handlung – auch die kommunikative – ist sowohl push als auch pull.

      Das Beispiel der neuen S-Klasse halte ich für gut geeignet, das zu erläutern. Bereits die Entscheidung, eine neue S-Klasse zu entwickeln, kann man als Push der Unternehmung verstehen. Dieser aber ist nicht ohne Kontext, denn es besteht im Publikum die Erwartung an die Marke Mercedes-Benz, dass sie eine neue S-Klasse präsentiert. Diese Erwartung wiederum ist u.a. durch eine lange Tradition geprägt. Wer aber hat entschieden, im Jahr 1972 die erste S-Klasse zu entwickeln? Und war das ein Push der Unternehmung oder ein Pull des Publikums (des Marktes)?

      Die Entwicklung des Fahrzeugs ist aber auch ein Pull der Unternehmung, denn durch die Entscheidung zieht sie die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. Das Publikum wiederum erzeugt einen Pull, weil es in Teilen begierig darauf wartet, neues über den Entwicklungsprozess, die Motorisierung, das Design, etc. zu erfahren.

      In der Kommunikationsstrategie geht es also nicht darum, das Verhältnis von Push zu Pull zu verändern, sondern die Beziehung zu gestalten, die zwischen beiden liegt. Die Beziehung einer Marke, eines Corporates zu einem Individuum in seinen jeweiligen Rollen. Das macht die Aufgabe so spannend und hilft vielleicht zu verstehen, warum viele Marketingmodelle (das Kriterium einer Theorie würde ich ihnen nicht zugestehen) so trivial sind.

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  4. Hallo allerseits, hi Thomas. Ich finde die hiesige Diskussion äusserst spannend. Erstmal Dank dafür. Erlaubt mir eine Betrachtung aus einer etwas anderen Perspektive. Die Markensoziologie betrachtet die Marke aus soziokultureller Herkunft. Das heisst Marken sind dann erfolgreich, wenn sie werte- und identitätsorientiert geführt werden. Marken entwickeln dann über ihr ureigenes Identifikationsangebot, das der eigentliche Differentiator bildet, Sogkraft. Sprich: ich kaufe BMW, um beim Autobeispiel zu bleiben, weil ich mich mit Freiheit und Freude am Fahren identifiziere und mit dem Kauf eines BMW diese Markenwerte erwerbe. Das heisst Markenführung,um in den Termini zu bleiben, ist und war immer schon Pull. Wohingegen das konträre Marketing stets Push ist, da es mit mit hohem Druck und lauter Stimme über Qualität, Produkteigenschaften oder Service wirbt. Weshalb auch in Social Media mit derselben Denkhaltung agiert wird.

    Diesbezüglich sehe ich für die Markenführung in Social Media eine grosse Chance und Potential. Zumal demographische Zielgruppen und Reichweite sowie Aufmerksamkeit nichts über die Marke oder deren Erfolg aussagen. Ich kaufe ja nicht BMW, weil ich X alt bin und aus Y komme. Das Beispiel von Prinz Charles und Ozzy Osbourne veranschaulicht das wunderbar. Beide im selben Jahr, 1948, geboren, lieben Wandern und Skifahren, etc. Beide stehen jedoch für völlig unterschiedliche Werthaltungen.

    Zurück zu den Culture Codes: Nicht jede Marke ist für jeden. Das Marketing hingegen versucht alle zu erreichen. Womit wir auch beim Nutzungsverhalten der jungen „Un-Bundler“ sind, die die sozialen Biotope mit ihrer jeweiligen Stilistik gezielt nutzen, um sich abzugrenzen. So sollten es Marken halten. Wenn Sie in den zu ihren Werten die passenden Orte one-to-one mit einer menschlichen Stimme bereichern, werden sie durch das Verbünden mit ihrer persönlichen Markengemeinschaft ihren Fortbestand nachhaltig sichern. Und darin liegt ein weiterer bedeutender Unterschied: Marken können auch zu einem Umdenken unseres wirtschafts- oder betriebswirtschaftlichem Denken führen.

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