Die Website verliert an Bedeutung – es lebe der Artikel

Im Online-Journalismus scheint es eine große Wahrnehmung dafür zu geben, dass ein zunehmender Teil des Traffics von Nachrichtenportalen von Suchmaschinen oder (Social Media-)Empfehlungen stammt. Der einzelne Artikel als Sprungbrett in das gesamte Content-Angebot wird dadurch wichtiger. Die Macher von Corporate Websites, aber auch Blogger können hiervon lernen.

Hinweis: Dieser Einsteiger-Artikel dient vor allem dem Selbstlernen und dem Überlegen meiner Studenten, die gerade die Aufgabe haben, eine Content Strategie für ein Online Special zu entwickeln. Dort steht nun an, sich Gedanken über die zu konzipierende Site zu machen – nachdem Zielgruppen-, Umfeld- und Themenanalyse, Positionierung und Inventarisierung weitgehend erfolgt sind. 

Vielleicht liege ich ja falsch: Aber mein Eindruck ist, dass bei vielen Relaunch-Projekten nach wie vor unglaubliche Energie in die Gestaltung der Homepage einer Website oder eines Blogs gelegt wird. Unterstellt wird dabei, dass die Startseite der erste und entscheidende Eindruck für die Besucher der Site ist, also auf diese Weise ganz wichtige Imagebotschaften vermittelt werden können.

Langsamer Tod der Homepage?

Tatsächlich wird seit einiger Zeit schon der langsame Tod der Homepage diskutiert – weil es immer mehr Nebeneingänge zum Content statt des einen zentralen Portals gibt, durch das alle kommen. Wer zum Beispiel einer Artikelempfehlung auf Facebook folgt, ist schon mitten drin im Angebot und nimmt die schöne Homepage gar nicht wahr. Die einfache Schlussfolgerung:

This makes it more important than ever for websites to treat every page as if it’s the homepage.

Die Frage ist, wie dies gelöst werden kann. Ein kleiner Ansatz ist vielleicht, dass bei jedem Artikel die Navigation immer in Reichweite ist, auch wenn der Artikel länger ist. Gut vergleichen kann man das aktuell beim alten und beim neuen Beta-Auftritt der taz (Besprechung im Designtagebuch).

Besucher an der Hand nehmen

Nein, zum Notausgang muss man Website-Besucher nicht führen. Aber vielleicht zum reichen Content-Schatz?

Ich bezweifle jedoch, dass dies genügt, um gerade gewonnene Leser wirklich in ein Angebot hineinzuziehen. Oder im Sinne einer Content Strategie anders rum gedacht: Genügt dies, damit Besucher des Artikels ihr Anliegen erledigen können? Das klingt jetzt nach widersprüchlichen Zielsetzungen. Was ich meine: Das Hineinziehen in ein tolles Angebot ist vielleicht ein angemessenes Ziel bei einem journalistischen Portal oder einem Magazin (auch im Corporate Publishing): Hier kann man stärker das Entdecken anregen (wobei es auch hier Informations-, Orientierungs- und Unterhaltungsbedürfnisse etc. gibt). Bei anderen Websites bzw. in Teilen anderer Websites (z.B. von Unternehmen oder Institutionen) haben die Besucher womöglich sehr konkrete Anliegen mit Blick auf Handlungsanleitungen beziehungsweise Entscheidungen: Vielleicht wollen sie durch einen Prozess hindurchgeführt werden. Beispielsweise, wenn sie sich zu einem Produkt informieren möchten. Dann genügt es nicht, auf einer Seite dieses Produkt zu beschreiben, sondern die Überlegung muss von Informations- und Entscheidungsprozessen zu solchen Produkten ausgehen. Idealerweise sind solche Aspekte in Personas enthalten. Mögliche Fragen könnten sein:

  • Möchten die Besucher Urteile Dritter konsultieren?
  • Wenn ja: Welche Art? (Testberichte, einfache Votings, Diskussionen in Foren etc.)
  • Interessieren sich die User für weitergehende Fragen aus dem Anwendungszusammenhang? (Beispiele: FAQ, Diskussionen in Foren)
  • Möchten einige der Besucher eine individuelle Beratung?
  • Ist ein Hineinführen in den Onlineshop sinnvoll oder eher abschreckend?

Das Abarbeiten von Anliegen zu ermöglichen, ist auch bei öffentlichen Institutionen sehr wichtig, wie zum Beispiel Sarah Richards in einem Vortrag sehr schön erklärt hat: Sie war für den Relaunch der Seite gov.uk verantwortlich und bringt das Beispiel, dass eine Person zum Beispiel wissen möchte, was zu tun ist, wenn jemand stirbt und dann durch alle notwendigen Schritte geführt werden möchte, so dass alle notwendigen Formulare zu Hand sind, Kontaktinformationen etc. Bei kommunaler Kommunikation spricht man nach meiner Erinnerung hier vom Lebenslagenkonzept. Hier überlegt man bei der Planung von Informations- und Kommunikationsangeboten, in welcher Situation Menschen sind, die auf die Website kommen.

Interaktion und Eintauchen

Doch zurück zum einzelnen Artikel. Ein typisches Element der Kommunikation ist die Interaktion, die auf jeder einzelnen Seite gefördert werden kann, etwa durch Handlungsaufforderungen. Beispiele sind das Teilen von Artikeln, das Abonnieren eines Newsletters, die Einladung zur Diskussion – oder Aufrufe, eigene Ideen und Inhalte einzubringen, Fragen zu stellen etc.

Einen speziellen Blick verdient aus meiner Sicht noch der Zugang zu weiteren Inhalten, die den Besucher interessieren können. In einigen Blogs ist es derzeit Mode, Widgets zu verbannen, die weitere Inhalte erschließen könnten. Hierzu zählen Widgets für oft geklickte Artikel, für eine Liste der letzten Kommentare, zu einem Monatsarchiv etc. Dieser Verzicht schafft eine sehr cleane Seite, die nur aus einer Spalte besteht. Ideal ist dies natürlich für mobile Nutzer, denn eine solche Seite passt sich automatisch an alle Displaygrößen – auch von Smartphones – an. Auf der anderen Seite können – gehen wir wieder weg vom Blog – Widgets natürlich helfen, Besucher durch Prozesse zu leiten und ihnen weitere Beiträge oder Materialen an die Hand geben. Allerdings werden Widgets in mobilen Versionen ohnehin nicht angezeigt.

Bei USA Today, eine der Nachrichtenseiten, auf die im Moment vermutlich sehr viele Fachleute schauen, kann man dies gut beobachten: Zu jedem Artikel bekommt man sehr viele Empfehlungen zu weiteren Beiträgen aus dem selben und aus benachbarten Ressorts. Der Ansatz: Die Leser hineinziehen in die Contentfülle – aber sie auch nicht erschlagen mit zehn verschiedenen Widgets. In der mobilen Version jedoch fallen all diese bunten Boxen weg und übrig bleiben am Ende eines Artikels zwei Empfehlungen aus dem selben Ressort. Die schnelle Information steht also im Vordergrund, wobei auf die Interaktion nicht verzichtet wird: Sharing und diskutieren funktionieren auch sehr gut bei der mobilen Version.

Die taz geht offenbar künftig anderen Weg und mit weitergehenden Empfehlungen künftig zurückhaltender um (sofern das nicht noch Baustelle ist): Waren rund um einzelne Artikel bisher viele der oben genannten Möglichkeiten genutzt, so verbergen sich diese nun in der Beta-Version relativ bescheiden hinter Links in der rechten Randspalte und müssen erst einmal entdeckt und durch einen Klick aufgeklappt werden. Die einzelnen Empfehlungen springen einem nicht mehr ins Auge, dafür ist das Ganze – siehe oben – viel cleaner in der Erscheinung. Wie passend dies für ein einzelnes Angebot ist, wäre zu diskutieren: Liegt der Fokus auf dem einzelnen Beitrag, oder soll eine Themenfülle gezeigt werden?

Der vermutlich wichtigste Weg, weiterführende Informationen oder ähnliche Artikel anzubieten, ist eine kleine Liste am Ende des Beitrags. Bei großen Angeboten bietet sich an, solche Empfehlungen zufällig geben zu lassen, beispielsweise mit Hilfe eine PlugIns für das Content Management System (z.B. „related posts“) Solche Systeme setzt aber unter anderem voraus, dass man sich Gedanken über begleitende Daten zu jedem Artikel macht – Blogger kennen hierzu Tags und Kategorien, bei Websites spielen u.a. Metainformationen eine große Rolle. Hier sind einige strategische Entscheidungen zu treffen: Denn wie jeder einzelne Artikel einen Bezug zur Positionierung haben sollte, so muss auch das aufzubauende Datengerüst (einfaches Beispiel: Unterrubriken) dem entsprechen. Die Alternative ist, diese Artikelempfehlungen am Ende manuell einzubauen, beispielsweise mit Blick auf aktuelle Suchtrends oder im Sinne der Positionierung besonders wichtiger Beiträgen. Hier im Blog habe ich mich für die manuelle Variante („Textdepot-Archiv“) entschieden.

Scrollen und weg

Ach so: Seid Ihr noch da? Die Online-Lesegewohnheiten sprechen eigentlich dagegen. Denn: „Klick – und weg bist du„, schreibt Meike Laaf in der taz. Will heißen: Wir scannen zunehmend nur noch Angebote und nehmen damit vor allem bestimmte Anker in einem Beitrag wahr. Dies jedenfalls hatte das Onlinemagazin Slate festgestellt – eine erwartbare Reaktion auf große Informationsmengen.

Für die Content Strategie bedeutet dies, dass man sich über Aufbau und Präsentation einzelner Beiträge einige Gedanken machen und entsprechende Festlegungen treffen sollte. Laaf empfiehlt hierzu unter anderem den Küchenzuruf, andere Elemente können Zwischenüberschriften, Bilder, Listen etc. sein. Andere Idee: Bachelorkandidaten empfehle ich beispielsweise, ans Ende eines Kapitels die wichtigsten Take aways in drei Spiegelstrichen aufzuführen.

Um Überlegungen dieser Art nochmals nachzuvollziehen, kann man sich einzelne Unterseiten von Corporate Websites anschauen. Bei vielen wird man feststellen, dass diese sehr in sich geschlossen sind und außer der Navigation kein Trampelpfad in das weitere Angebot gemacht wird. Dann muss der Besucher, der z.B. von der Suchmaschine kommt, zur Orientierung erst mal auf die Startseite (oft sogar, um überhaupt festzustellen, wo er gelandet ist). Im Gegensatz dazu könnte man sich eine Themenseite wie Babyharmonie von der Schwenninger Krankenkasse anschauen. Das Konzept wird auch von Doris Eichmeier vorgestellt. Hier finden sich auf den Unterseiten viele der in diesem Artikel besprochenen Elemente.

Textdepot-Archiv: Mehr zu Websites

28 Kommentare

  1. Vielen Dank für den Artikel. Eine Konzentration auf relevante Themen (statt auf ein Kommunikationsmedium im Internet) und eine informative Darstellung kommt uns Journalisten ja sehr entgegen. Ihrem Artikel konnte ich wertvolle Aspekte und Anregungen entnehmen.

    Beste Grüße
    Klaus Schenkmann

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      1. Ohne Fleiß kein Preis ;-) Im Ernst: Der Text erlaubt einen leichten Einstieg, weil er anschaulich ist und die Leser mitnimmt. Das dicke Ende kommt zum Schluß, nämlich dann, wenn man sich überlegt, was aus dem folgt, dass so leicht beschrieben ist. (Gilt auch für die Content Strategy-Definition der Kolleginnen aus den USA ;-)

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  2. Puuh! Ein sehr langer Artikel, aber sehr gut mit wirklich hilfreichen Hinweisen. Bestärkt mich darin, noch mehr Wert auf Qualität in meinen Blogartikeln zu legen.
    Was ich umsetzen werde: Verwandte Beiträge anzuzeigen, dem Leser also unmittelbar die Chance zu geben, das Thema zu vertiefen.

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  3. Ich kann diesen Eindruck, dass primär und viel Energie auf die Erstellung des Website-Designs verwendet wird aus der Praxis sofort bestätigen. Leider ist das so.

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  4. Hallo Herr Pleil,

    Ihr Artikel enthält sehr viele gute Anregungen für eine Blog- bzw. Content-Strategie. Letztendlich trifft man eine Entscheidung. Diese beruht auf die Gegenüberstellung von Vor- & Nachteilen einer jeweiligen Strategie.

    Wäre die Frage sinnvoller: Wie hat Unternehmen A seine gewünschte Blog- bzw. Content-Strategie umgesetzt? Wenn es eine minimalistische Website will, dass sollte diese konsequent umgesetzt sein. Was meinen Sie?

    Eine Anmerkung habe ich wegen der Begriffe. Eine Website (steht so in der Überschrift) ist die Summe von n-Webseiten. Eine Homepage dagegen ist nur die Startseite, aber nicht die Website (oft in der Allgemeinheit synonym verwendet). Ein Blog besteht aus Webseiten, die Bestandteil einer Website sind. Somit passt die Überschrift nicht oder? Statt — Website — hätte die im Text erwähnte — Homepage — stehen sollen, meine ich ;)

    Auf jeden Fall ist Ihr Artikel sehr anregend und dies finde ich sehr gut. Sie sprechen sehr humorvoll mit „Ach so: Seid Ihr noch da? Die Online-Lesegewohnheiten sprechen eigentlich dagegen.“ das Thema der Online-Lesegewohnheiten an. Auch ein sehr wichtiger Punkt für Online-Texte.

    Viele Grüße, Ralph

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    1. Sie haben völlig Recht was die Begrifflichkeiten betrifft. Ich hatte mich darüber auch schon etwas geärgert, wollte aber im Nachhinein nicht mehr dran rumpfuschen.

      Zur anderen Frage: Die Content-Strategie ist sicher die übergeordnete Aufgabe, insofern beschäftigt sich dieser Beitrag nur mit möglichen Teilaspekten, die wiederum – da stimme ich zu – je nach Strategie unterschiedlich zu diskutieren sind.

      Bemerkenswert finde ich jedoch nach wie vor, wie wichtig in vielen Konzeptionen nach wie vor die Portalseite/Homepage genommen wird und wie vernachlässigt die Nebentüren ins Angebot sind. Hatte genau diese Diskussion erst vor ein paar Tagen als es um einen Relaunch einer recht bekannten Marke ging.

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      1. Hallo Herr Pleil,

        „Bemerkenswert finde ich jedoch nach wie vor, wie wichtig in vielen Konzeptionen nach wie vor die Portalseite/Homepage genommen wird und wie vernachlässigt die Nebentüren ins Angebot sind. Hatte genau diese Diskussion erst vor ein paar Tagen als es um einen Relaunch einer recht bekannten Marke ging.“

        Dies ist in der Tat bemerkenswert und zugleich unverständlich. Vor allem, da es Blogs bereits seit Jahren existieren. Bereits vor Social Media waren diese „Nebentüren“ durch Social Bookmarking-Dienste aktiv.

        Somit besteht wohl noch viel Aufklärungsbedarf ;)

        Schönes Wochenende, Ralph

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