Zwölf Jahre im Biotop der Widersprüche

LinkedIn ist schuld. Ich fühle mich alt. Richtig alt. Wer ist schon zwölf Jahre im selben Job? Und LinkedIn erzählt das auch noch meinem ganzen Netzwerk. Ok, wenn ich schon so drauf gestoßen werde, ist’s wohl Zeit, darüber nachzudenken, wie das so ist, zwölf Jahre Professor an der selben Hochschule zu sein.

Vorweg: Wer mich kennt, weiß, dass ich meinen Beruf liebe. Ich schreibe bewusst nicht von einem Job, denn einfach ein Job war es für mich nie.  Allerdings: Dass ich so lange an einem Ort bleibe, hätte ich früher nicht für möglich gehalten. Fünf Jahre waren für mich immer die Obergrenze. Tatsächlich hat es sich an der Hochschule Darmstadt in diesen zwölf Jahren auch immer wieder angefühlt, als ob ich etwas ganz Neues beginne. Und so ein Laden wie eine Hochschule hat verflixt viele Aufgaben und Rollen zu vergeben. Dummerweise habe ich das Wegducken nicht so richtig gelernt. Pflichtbewusstsein ist das eine, die Chance, etwas mitgestalten zu können, das andere. Wie ich das so schreibe, wundere ich mich selbst, welche Hüte ich schon aufprobiert habe: Prüfungsausschuss, Studiengangsleitung, Dekanat, Institutsleitung, Fachbereichsrat, PR-Beauftragter, Berufungskommissionen, Studiengangsakkreditierungen. Und es gibt noch viel mehr davon.

Die Vermehrung der Hüte

Was mich immer wieder erschreckt: Zumindest in meinem Umfeld habe ich das Gefühl, dass sich solche Hüte automatisch vermehren, und die Kolleginnen und Kollegen immer mehr davon abkriegen. Blöd nur, dass wir alle nur einen Huthalter über dem Hals haben. Wir jonglieren also. Und weil ich vorhin das Stichwort „Abtauchen“ fallen gelassen habe: Manche verstehen sich in dieser Disziplin meisterlich. Konsequenzen? Naja, nicht für die Ab-Taucher. Für die anderen natürlich schon, wie man sich denken kann.

Aber – meine engeren Kollegen wissen es leidvoll – ich übe gerade das Weiterreichen von Hüten, und ich bin sehr dankbar, Abnehmer zu finden: Jüngst hat mein Kollege Lars Rademacher die Leitung des Studiengangs Onlinekommunikation übernommen. Danke auch an dieser Stelle hierfür! Nicht, dass mir diese Aufgabe keinen Spaß gemacht hätte – aber in der intensiven Aufbauarbeit des Studiengangs einschließlich Akkreditierung, On-Boarding der neuen Kollegen, Studiengangsmarketing und gefühlt Millionen praktischer Fragen hatte ich manchmal das Gefühl, unterzugehen und nicht nur dieses Blog hier vernachlässigen zu müssen, sondern auch viel Wichtigeres – die Lehre etwa.

Teams auf Zeit

Tja, warum bin nun also immer noch im selben Job? Kurz: Weil die Hauptsache, das Zusammenarbeiten mit den Studenten riesigen Spaß macht und das gerade auch nach zwölf Jahren. Vor einigen Tagen hatte ich wieder einmal ein letztes Seminar mit einer Bachelor-Gruppe. Und so lange sich so etwas Jahr von Jahr seltsam nach Abschied anfühlt und sentimental riecht, so lange ist alles gut. Denn gerade durch das projektorientierte Arbeiten entstehen in meiner Wahrnehmung richtige Lerngemeinschaften.

Überhaupt: Die Projekte. Dort entsteht eine besondere Energie. Am Ende eines solchen Projektes können Kommunikationsstrategien herauskommen, Websites, Bücher (!) und natürlich Veranstaltungsreihen wie „Zukunft Online-PR“, die Communication Camps oder die Begleitung der Content Strategy Camps. Es ist immer wieder faszinierend, was ein Studententeam auf die Beine stellen kann – und wir dabei gemeinsam eine Menge lernen. Soweit es geht, versuchen wir, das auch nach außen sichtbar zu machen, etwa durch das Blog PR-Fundsachen.

A propos Lernen: Einer meiner Kollegen sagt immer, das Schönste an seiner Arbeit sei, dass er ständig lernen darf und dafür auch noch bezahlt wird. Genau so sehe ich das auch. Für mich ist es immer zum Beispiel schon ein enormer Antrieb gewesen, neue Entwicklungen und aktuelle Diskussionen mitzubekommen und in die Lehre zu integrieren. Mein Eindruck ist, dass dies trotz aller Seltsamkeiten und Widrigkeiten für fast alle Kollegen der wichtigste Aspekt ihres Berufes ist.

Finanzen und Toiletten

Natürlich: Auf manches, das ich in diesen Jahren gelernt habe, hätte ich auch gern verzichtet. Etwa, wie man mit administrativen Widrigkeiten umgeht (wobei ich hier gefühlt auch erst im zweiten Lehrjahr bin). Oder auf die Erkenntnis, dass aller hübscher ministerieller PR-Meldungen zur Finanzierung von Hochschulen zum Trotz viele Budget-Fragen immer schwerer zu lösen sind. Zum Beispiel bekommen wir in Hessen in der Grundfinanzierung pro Student heute deutlich weniger zugewiesen als noch vor drei, vier Jahren. Statt dessen gibt es immer mehr spezielle Töpfe und Projektfinanzierungen mit ihren eigenen Regeln – Planungsunsicherheit und administrativer Aufwand wachsen fortwährend. Klar war es eine tolle Chance, den Studiengang Onlinekommunikation erfinden zu können, dafür neue Kollegen und Räume zu bekommen und Studierende, die mir in kurzer Zeit ans Herz gewachsen sind.

Doch neulich habe ich mich dabei ertappt, auf unserem Campus die nach wochenlanger Störung des Unterrichts durch Bohren und Hämmern endlich abgeschlossene Renovierung der bislang stinkenden Toiletten als richtigen Fortschritt wahrzunehmen. Ach, wie weit bin ich da gedanklich schon von den wunderbaren Jugendstilräumen der Agentur entfernt, in der ich mal begonnen habe. Statt dessen also endlose Linoleumgänge, zugige Fensterrahmen und im Winter der regelmäßige Anruf beim Hausmeister, auf dass er wieder für hinreichend warme Räume sorgen möge. So eine Hochschule ist schon ein Biotop der Widersprüche: Da lehren wir zu neuester Technologie und zeitgemäßen Kommunikationsstrategien, doch Dienstreiseanträge schicken wir wie ehedem per Hauspost, Online-Käufe bezahlen wir erst mal mit unserer privaten Kreditkarte.

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Kreidezeit und Moderne.
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Ausrangiert.

Die Forschung und das Krümelmonster

Ach, ich habe ja noch gar nicht über Forschung geschrieben. Spaß macht die natürlich. Doch wenn ich ehrlich bin, fressen an einer Fachhochschule die anderen Aufgaben oft Forschungsideen auf wie das Krümelmonster den Keks. Dabei bin ich mittlerweile in der glücklichen Situation, dass wir Forschung und den Wissenstransfer in die Praxis in einem kleinen Team in unserem Institut für Kommunikation und Medien betreiben können. Ich hoffe sehr, dass ich nach Ende dieses Semesters hier wieder stärker einsteigen kann – was erst mal bedeutet, dass ich Tonnen spannender Arbeiten in dieser Hinsicht produktiverer Kollegen lesen muss.

Und wenn alles gut geht, gründen wir in nächster Zeit ein Steinbeis-Transferzentrum zu Marketing, Kommunikation und Lernen in digitalen Zeiten. Da ist es wieder, das Biotop der Widersprüchlichkeiten. Es ist halt wie immer die Frage, was man draus macht. Und es gibt nur sehr wenige Berufe, in denen die Möglichkeiten so vielfältig sind. Wenn ich es genau betrachte, habe ich nach den zwölf Jahren nicht den Eindruck, den immer gleichen Beruf gehabt zu haben, sondern alle zwei, drei Jahre etwas ganz Neues anzufangen. Und zu den positiven Seiten gehört sicher auch, wie flexibel wir Arbeitszeit und Arbeitsort wählen können, sieht man von Vorlesungen und Gremiensitzungen ab (und davon, dass oft die Wahlmöglichkeit nur darin besteht, wann man welche Nachtschicht macht). Aber im Ernst: Ich bin mir bewusst, in welch luxuriöser Situation ich bin: Ein bisschen fühlt sich das an, wie ein Unternehmer mit Netz und doppeltem Boden – inmitten einer Fast-Planwirtschaft. So schlecht ist auch das nicht – schließlich schätzt man die Sicherheit, und Reibung erzeugt bekanntlich die Wärme, die man braucht, wenn man älter wird.

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Welch ein Luxus: Seminar-Vorbereitung im Grünen.

9 Kommentare

  1. Wie schoen zu lesen, dass es noch Menschen gibt die ihren Job lieben. Kein gejammere ueber was nicht geht. Statt dessen, ausprobieren, gestallten und einfach machen. Herrlich positiv, wunderbar geschrieben.

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  2. Mein lieber Thomas,

    ich bin nicht nur nach Lektüre deiner Zeilen, sondern auch gute sechs Jahre nach meinem Abschluss immer noch ungemein froh, dass ich dich in vier dieser zwölf Jahre vor Ort miterleben durfte und seitdem immer wieder verfolgen kann, was du und die anderen am Campus und darüber hinaus auf die Beine stellt. Sei es in Form der von dir erwähnten Projekte und Arbeiten, der Veranstaltungen und viel zu seltenen Treffen, vor allem aber mittels der vielen Einblicke in euren Alltag, der sich via #onkomm mit den nachfolgenden Jahrgängen im Digitalen so wunderbar nachvollziehen lässt.

    Ja, schon damals, zu meiner Zeit anno 2006 bis 2010 war es manchmal etwas absurd, dass wir über die just stattfindende Zukunft der Kommunikation im Netz sprachen, dafür aber teils Overhead-Projektoren zur Vermittlung des Basiswissens bemühen mussten. Oder gerne auch in der Runde diskutieren mussten, ob dieses „Social Media“ nicht wieder weg geht. Zum Glück ist es das nicht, kann ich nur sagen.

    Was seitdem aber ebenso wenig vergangen ist, ist dein Wunsch zu lernen, zu lehren und neugierig zu bleiben. Mehr noch: andere, wenn auch nicht immer alle, mit deiner Neugier auf das, was da kommt, anzustecken. Ich kann kaum aufzählen, wie viele Absolventen selbst heute noch genau davon profitieren, aber ich kann das alles weitestgehend digital mitverfolgen – und in jedem Gespräch mit aktuellen und ehemaligen Studenten erleben, wenn wir auf den Campus, die Lehre dort und somit auch dich zu sprechen kommen.

    Darum lasse mich dir zwei Dinge sagen: Erstens, ist es der wohl größte Glücksfall für den Campus, dass du nunmehr seit zwölf Jahren dabei bist, ohne bei all deinem Elan wirklich älter zu wirken, und Zweitens – Danke für alles, auch heute noch!

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    1. Danke, Daniel, das ist sehr lieb – aber ich denke, ein ganz besonderer Punkt war immer, dass trotz aller Wechsel unser Kollegium gut funktioniert hat und so in ein Studium ganz unterschiedliche Perspektiven erschlossen werden können.

      Und was das Treffen betrifft: Wir sind diesmal mit etwa 20 Onkomms bei der re:publica, da finden wir hoffentlich trotz vollem ein bisschen Zeit mit aktuellen und ehemaligen Mediencampern ;)

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      1. 20? Plus all die Ehemaligen vor Ort? Puh .. das wird dieses Jahr dann wohl ein seeeehr großer Stuhlkreis im Innenhof werden ;-)

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  3. Lieber Thomas,

    wenn man sich so oft neu erfindet wie Du, scheint die Gefahr gering, dereinst mit dem Hochschulschiff zu verwachsen wie ein Stiefelriemen-Bill Turner der Onlinekommunikation.

    Ich bin natürlich auch dankbar für Deine Engagements über den Tellerrand der h_da hinaus, auch bei uns in der Schader-Stiftung (siehe Link, Bilder auf Facebook).

    Ad multos annos.

    Alexander.

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  4. Großartig. Und ganz herzlichen Dank für den ein oder anderen gemeinsam entwickelten Hut, den Du noch zusätzlich in die Jonglage aufgenommen hast. Es ist, wie es ist: Arbeit kommt zu dem, der sie macht. Und zu denen, die sie besonders gut machen, kommt besonders viel.

    Und ich mag das Bild des Unternehmers in der Planwirtschaft mit Netz und doppeltem Boden. Der Unterschied ist: Du hast Netz und doppelten Boden unter Dir gelassen – andere verstecken sich darunter.

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    1. Ich fürchte, die sind schon janz weit weg – das Bild ist schon zwei, drei Jahre alt – hab damals leider auch versäumt, einen zu sichern.

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