Das Thema Content Strategie stand in diesem Semester für meine Studenten und mich weit oben auf der Agenda. Neben dem Content Strategy Camp #cosca13, das die Studenten engagiert begleitet haben, hatten wir in unserer PR-Lernagentur auch den Auftrag, Content Strategien zu entwickeln. Eines von zwei Themen: Alexander Gerst, der dritte Deutsche im All, der im nächsten Frühjahr die Internationale Raumstation (ISS) besuchen wird. Ein paar Eindrücke aus der Lernküche.

Vorneweg: Das Projekt war spannend und ambitioniert. Wer hatte vor ein paar Monaten nicht Felix Baumgartner und die tolle kommunikative Inszenierung von Red Bull Stratos im Sinn? Und da bietet sich für Studenten, die gerade mal ins vierte Bachelor-Semester gekommen und PR-Newbees waren, die Chance, für T-Online und in Kooperation mit der European Space Agency (ESA) ein Online-Special zu konzipieren. Natürlich ohne Garantie, dass dieses umgesetzt wird, aber um zu zeigen, wie sie sich für ein solches Thema eine Content Strategie vorstellen.
Die Aufgabe: Den ESA-Space Channel neu denken
Schon bisher gibt es bei T-Online den so genannten ESA-Space Channel, eine Content-Partnerschaft besteht also schon. Allerdings, so lautete das Briefing, sollte dieses Raumfahrt-Special neu gedacht werden. Insofern traf es sich gut, dass die ESA mit einer ganz neuen Idee um die Ecke kam: Alexander Gerst, der gerade im aktuellen Spiegel (Print, 29/13) vorgestellt wurde, hat das Zeug zum Weltraum-Helden. Er könnte zum Mittelpunkt eines neuen Specials werden, so die Idee. Storytelling also statt Nachrichtentexte.
Doch die ESA ist eine Behörde. Alexander Gerst ist Wissenschaftler und kein Popstar. T-Online-Besucher haben mit der Zielgruppe von Red Bull nicht unbedingt viel zu tun. Dies sind nur ein paar Erkenntnisse, die sich die Studenten mit der Zeit erarbeiten mussten. Wie waren wir dabei vorgegangen? Vereinfacht gesagt habe ich versucht, das Handwerkszeug zur Entwicklung einer Content Strategie wie es von Christiana Halvorson und Melissa Rach vorgeschlagen wurde, mit dem üblichen Konzeptionshandwerk der PR zu kombinieren.
Ausgangspunkte waren Briefings mit beiden Partnern, T-Online und ESA. Klar war dabei den Studenten natürlich, dass es um eine Contentpartnerschaft gehen sollte (dass ich Medienpartnerschaften nicht ganz unkritisch sehe, habe ich hier mal aufgeschrieben). Das bedeutet, dass beide Partner eigene Interessen haben, aber auch jeweils eigene Mittel. Handelt es sich bei T-Online hier vor allem um Reichweite und redaktionelle Ressourcen, so kann die ESA Zugang zu einer Menge Content verschaffen. Spannend für die Studenten war natürlich, dass die beiden Partner nicht in jeder Hinsicht identische Vorstellungen haben, hier mussten dann im Einzelfall klare Entscheidungen fallen und klar sein, dass es vor allem um die Entwicklung des Specials im Umfeld von T-Online geht und nicht vor allem um die Kommunikationsziele der ESA. Herausgearbeitet haben die Studenten damit folgende Ziele:
- Verweildauer,
- Wiederkehrrate,
- Reichweite
des Specials erhöhen. Zur Formulierung dieser Ziele hatte zuvor eine Bestandsaufnahme dieser Daten stattgefunden.
Doch wie entwickelt man hierfür eine angemessene Strategie? Nach meinem Eindruck waren zwei Arbeitsschritte extrem hilfreich:
- Wir haben uns Best Practice-Beispiele angeschaut und dazu im Sinne eines Benchmarks ein paar vergleichbare Kriterien aufgestellt. Einbezogen waren hier neben Red Bull Stratos die Onlinekommunikation der NASA und das Liquid Content-Konzept von Coca Cola. Außerhalb des engen Benchmarks haben wir vor allem von der New York Times (Snowfall) und USA Today (Gesamtkonzeption) sehr viel gelernt, ebenso von Blogs rund um Raumfahrt.
- Genauso wichtig war das Kennenlernen von Horst, Jürgen, Max und Alexandra. Wer das ist? Das sind die Namen, die die Studenten den Persona gegeben haben, die das Special besuchen sollen. Grundlage hierfür waren unter anderem vorhandene Analysen zu T-Online-Zielgruppen, Interviews mit Personen aus diesen Zielgruppen zu Ihrem Interesse am Thema Raumfahrt und Überlegungen zur Ausdehnung (hier: Verjüngung) der Zielgruppen.
Auf diesen Grundlagen haben die Studenten dann (nach einigen Wendungen) eine Positionierung gefunden und vier strategische Richtlinien, bevor sie den neuen Namen des Specials – eben „Alex im All“ – und viele, viele Content-Bausteine entwickelt haben. Übrigens wurde an dieser Stelle erst das bisherige Special genauer inventarisiert, um im selben Schritt gleich festzulegen, welche der bisherigen Beiträge noch ins Konzept passen. Und ganz ehrlich: An ein paar Stellen haben wir die Lehrbuchschritte eher gestreift und nicht komplett nachvollzogen.
Insgesamt erscheint mir im Ergebnis vor allem der Ansatz gelungen, wie sich Storytelling entlang von Alexander Gerst, eigenes Erleben und Mitmachen auf der Website und Hintergrundinformationen zur bemannten Raumfahrt (lean back) ergänzen. Das Tolle am Thema Raumfahrt ist auch, dass es unglaublich eindrucksvolle Bilder, aber auch witzige und lehrreiche Videos gibt, so dass man in diesem Umfeld als Ergänzung wirklich gut digitales Kuratieren vorsehen kann. Schwierig dagegen (wenn am Ende auch plausibel gelöst) war für die Studierenden die begleitende Social Media-Strategie, was auch daran lag, dass dies eigentlich erst im nächsten Semester auf dem Plan steht.

Da das Ganze ja vielleicht umgesetzt wird, gehe ich an dieser Stelle nicht auf weitere Details der Konzeption ein, statt dessen auf ein paar Dinge, die ich mitgenommen habe:
Eine Content Strategie zu entwickeln, ist eine beliebig skalierbare Aufgabe. In unserem Fall begann diese mit dem Special auf dem Nachrichtenportal und sollte auch Ansätze einer Social Media-Strategie umfassen. Doch selbst mit einem Dutzend Studenten im Team bleiben Lücken: Wie ist es mit Designfragen? Mit der Bildsprache? Wie detailliert werden einzelne Maßnahmen (z.B. ein Blog) durchdekliniert? Was ist mit der Vermarktung? Können wir die grob formulierten Ziele mit Kennzahlen belegen? (Nein!) Das Problem eines solchen Projektes ist nicht nur, dass immer mehr Aufgaben entdeckt werden, kaum dass man eine abgearbeitet hat. In der Lehre besteht auch eine große Schwierigkeit darin, dass die Studierenden nicht alles gleichzeitig lernen können bzw. einige Bereiche nur in Ansätzen oder gar nicht (z.B. lernen unsere PR-Studenten nicht die Vermarktung von Sites oder Webdesign). Hier drohen natürlich tiefe Motivationslöcher.
Allerdings: Je konkreter, desto besser, sprich motivierender. Neben den unlösbaren Aufgaben, die wir als solche zu benennen hatten, ist auch klar: Ein Konzeptionsprozess ist zunächst eine Fleißarbeit, gerade wenn es um die Analysephase geht. Und auch Dinge wie das Entwickeln von Positionierungen sind noch ziemlich abstrakt. Als wir jedoch dem Kind einen Namen gegeben haben und eine Studentin ein erstes Scribble vorgelegt hat, war ein dicker Knoten geplatzt. Anfangs aufgelistete Maßnahmen wurden plötzlich greifbar und konnten durchbuchstabiert werden.

Am Ende muss ich dreierlei festhalten:
- Dass die Studenten bis zur Präsentation des Ganzen vor unseren Partnern von T-Online und ESA motiviert durchgehalten und sich auf das Ganze eingelassen haben, verdient besonderen Respekt – besonders natürlich, da das Ergebnis aus Sicht unserer Partner sehr ansehnlich sei.
- Zum zweiten war es ein Glücksfall, dass wir mit Andreas Schepers (ESA; Part: Begeisterung wecken!) und Bastian Ewald (T-Online und Absolvent) Partner hatten, die während des Projektes viel Zeit investiert hatten; Bastian sogar regelmäßig bei der Arbeit der Gruppe dabei war, so dass wir sie zu zweit coachen konnten.
- Keine Lösung habe ich aber für das ideale Vorgehen in einem Projekt zu Content Strategie, denn die Aufgabe ist so komplex, dass man oft nicht nur von Learning by doing sprechen kann, sondern ziemlich improvisieren muss – was für Lehrende wie Studierende gilt. Ein eigener Studiengang zu Content Strategie, wie ihn Heinz Wittenbrink gerade plant, ist da sicher ein großer Schritt; dies erst im Masterbereich zu machen, ist an sich wahrscheinlich sinnvoll.
Andere Lehrprojekte im Textdepot-Archiv:
Nur mal so: Hat eigentlich jemand Gerst gefrägt, wie er sich das so denkt …?
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Wichtiger Punkt: Die Studenten hatten leider keine Möglichkeit, direkt mit ihm zu sprechen, sondern sie hatten versucht, möglichst viel aus bestehendem Material (Videos, Interviews etc.) über ihn zu erfahren. Bekannt war auch, was in seiner Kommunikation in den nächsten Monaten ohnehin geplant ist und es gab Vorgaben, bestimmte Dinge nicht vorzusehen (z.B. wg. Aufwand oder weil es zu ihm nicht passen könnte).
Für das Ziel, den Projektpartnern zu zeigen, wie sich die Studenten ein solches Special vorstellen, war dies ok. Sollte es an die konkrete Umsetzung gehen, muss dies natürlich mit Alexander Gerst entwickelt werden.
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