Die letzten Jahre waren geprägt von einem deutlichen Bedeutungsgewinn gesellschaftlicher Werte in der Unternehmenskommunikation. Diversität, Klimaschutz, Menschenrechte – all das schien nicht nur in Hochglanzberichten, sondern auch in der strategischen Ausrichtung vieler Organisationen eine tragende Rolle zu spielen. Doch derzeit erleben wir einen massiven Rückschritt. Strategien zu Nachhaltigkeit, Gleichstellung oder Menschenrechten werden revidiert, gestrichen oder stillschweigend beerdigt. Der Begriff „Backlash“ beschreibt die Situation.
Der politische Druck, vor allem aus den USA, etwa durch Maßnahmen wie Anti-DEI-Gesetze, ist real. Doch ebenso maßgeblich ist das Lobbying traditioneller Industrien – von der Automobil- bis zur fossilen Energiewirtschaft, die versuchen, bestehende Regulierungen zu verwässern und Narrative um die Zumutbarkeit sozial-ökologischer Transformation umzudeuten. Das Resultat ist eine massive Verunsicherung. Organisationen, die sich einst offen zu ESG-Zielen bekannten, lavieren nun oder ziehen sich kommunikativ zurück. Und die, die es noch nie richtig ernst gemeint haben, sehen sich nun am Drücker.
In dieser Gemengelage stellt sich die Frage: Welche Rolle spielt strategische Kommunikation? Und was bedeutet es heute, Verantwortung zu übernehmen?
In der Debatte um Ethik in der PR oder Unternehmenskommunikation wird gern auf Berufskodizes verwiesen. Diese fordern Fairness, Wahrhaftigkeit, Transparenz. Doch oft bleiben sie auf der Verhaltensebene: Sie regeln das Wie, nicht das Wozu oder Wofür. Sie lassen offen, ob es legitim ist, für Organisationen zu kommunizieren, deren Geschäftsmodell systematisch den Planeten zerstört oder demokratische Grundprinzipien untergräbt. Das Ergebnis bleibt also unterbelichtet.
Die Verantwortung, die nicht erwähnt wird
Verantwortung in der Kommunikation wird somit häufig individualethisch verkürzt: Die Verantwortung des Einzelnen, sich professionell und integer zu verhalten. Das ist wichtig, aber nicht ausreichend. Denn Kommunikation ist kein neutraler Service. Sie setzt Themen, definiert Deutungsrahmen, prägt Narrative und trägt dadurch wesentlich dazu bei, was als wünschenswerte Zukunft gilt.
Wenn die Frage nach dem Autraggeber zum Prüfstein wird
Vor diesem Hintergrund wird die Wahl der Organisation, für die kommuniziert wird, selbst zur ethischen Frage. Ist es vertretbar, das Nachhaltigkeitsimage eines Ölkonzerns aufzupolieren, der weiterhin massiv in fossile Infrastruktur investiert? Oder für Konzerne zu arbeiten, die Diversitätsprogramme lediglich als Symbolpolitik betrieben haben – bis sie unter Druck gerieten?
Solche Fragen sind unbequem. Sie lassen sich nicht pauschal beantworten. Aber sie verdienen es, gestellt zu werden. Denn Kommunikation legitimiert. Sie stellt nicht nur dar, sondern sie macht mit: Sie stabilisiert Praktiken und Machtverhältnisse, oder sie irritiert sie.
Für viele Agenturen sind solche Fragen seit langem selbstverständlich. Dies zeigt sich ganz aktuell in einer breiten Befragung von PR-Agenturen durch das PR-Journal. Ausgangspunkt der Recherche ist die Policy von Agenturen zum Thema Diversity (Spoiler: manchmal regiert eher der Zufall, manchmal gibt es klare Strategien). Klar wird aus dem Beitrag aber auch, dass einige Agenturen Mandate nicht annehmen oder beenden, wenn wertebezogene Themen wie Diversity oder Nachhaltigkeit reine Fassade bleiben und Kunden sich hier nicht beraten ließen.
Natürlich: In Agenturen lassen sich Haltungsfragen kollegial und demokratisch entwicklen und es ist schnell klar, dass der Umgang damit sich direkt auf ihre Wahrnehmung im Markt auswirkt. Die einzelnen PR-Praktiker:innen, die zum Beispiel gerade in den Beruf einsteigen, sind in ihren Entscheidungen auf sich gestellt.
Und einige Aspekte der Verantwortlichkeit sind für manche nicht offensichtlich. Gerade in der Onlinewelt gibt es viele komplexe Realitäten: Online-Werbung bzw. Targeted Advertising, die die informationelle Selbstbestimmung von Nutzer:innen untergraben oder Social Networks, für die gezielt in Forschung in süchtigmachendes Design und polarisierende Algorithmen investiert und zur Informationsverschmutzung beigetragen wird, wie Harriet Kingaby vom Conscious Advertising Network auf der re:publica argumentierte.
Es steht niemand zu, andere zu verurteilen. Doch wir alle kommen nicht darum herum, wahrzunehmen, dass wir mitverantwortlich für das sind, wofür wir arbeiten. Ob zumindest ein Hinweis dazu gut in PR-Kodizes passen würde? In der Lehre zumindest diskutieren wir die Fragen individueller Verantwortlichkeit regelmäßig. Patentrezepte haben auch wir nicht. Und das Argument, dass man doch überhaupt froh sein muss, einen Job zu bekommen, fehlt in keiner dieser Diskussionen.
Zwischen Polarisierung und Stillstand: Wer gestaltet den Diskurs?
Fragen wie diese sind in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Denn weltweit haben sich die politischen Koordinaten verschoben und sind weiter in Bewegung. Polarisierung, Nationalismus, Feindlichkeit gegenüber Migrant:innen oder anderen Gruppen, die nicht zur Mehrheit gehören, all das greift um sich. In einigen Ländern ist die Demokratie nur noch ein Wrack. Auch in Deutschland sind wir nicht immun gegen diese Tendenzen.
In solchen Zeiten genügt es nicht, „neutral“ zu kommunizieren. Wer Kommunikationsräume mitgestaltet, trägt Verantwortung dafür, wessen Stimmen gehört werden und wessen nicht. Ob diskriminierende Narrative verstärkt oder irritiert werden. Ob Transformation als Bedrohung oder als Gestaltungschance erscheint.
Strategische Kommunikation darf nicht zur Kulisse für Rückschritte werden.
Verantwortung neu denken – jenseits von Imagepflege
Was bedeutet das nun für Kommunikationsverantwortliche in Agenturen, Unternehmen, Institutionen? Es bedeutet, die eigene Rolle immer wieder zu reflektieren:
- Bin ich bloß Umsetzer:in von Kommunikationszielen oder auch Mitgestalter:in gesellschaftlicher Diskurse?
- Unterstütze ich Narrative, die dem Gemeinwohl dienen oder solche, die bestehende Ungleichheiten zementieren oder unnötig polarisieren?
- Nutze ich meine Expertise, um Wandel zu ermöglichen oder um Status quo zu sichern?
Diese Fragen lassen sich nicht immer eindeutig beantworten. Aber sie sollten gestellt und offen diskutiert werden. Die Verantwortung strategischer Kommunikation beginnt nicht erst bei der Textfreigabe. Sie beginnt bei der Entscheidung, welche Themen, Werte und Ziele man als legitim betrachtet und wofür man bereit ist, seine Stimme zu geben. Und: Kommunikationsprofis sind nicht einfach Ausführende, sondern Berater:innen. Nutzen sie diese Rolle im Positiven?
Versuch einer Einordnung
Die gegenwärtige Zeit ist wie für viele gesellschaftliche Felder auch für die strategische Kommunikation eine Zeit der Zumutung. Zugleich aber auch sind wir in einer Zeit der Chance und in einer Zeit, um aktiv zu sein.
Sie ist Zumutung, weil die Dilemmata zwischen politischer Polarisierung und Stakeholdererwartungen immer größer werden. Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind da wie immer schon zentrale Bezugspunkte. Bewahren und entwickeln lassen sie sich jedoch nicht durch Wegducken. Hieraus ergibt sich auch eine Chance, weil sie Kommunikation als das sichtbar macht, was sie im besten Fall ist: ein Beitrag zur Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft. Und hier meine ich: Die Rolle der strategischen Kommunikation kann nicht passiv sein. Aufgrund ihrer Deutungsmacht muss sie sich die Frage stellen, welchen Beitrag sie leistet, um unsere Errungenschaften mit Werten wie Freiheit, Gleichheit oder Gerechtigkeit zu wahren und zugleich wünschenswerte Zukunftsbilder zu entwickeln. Denn: sich auf das Verkaufen von Produkten oder das Sichern von Arbeitsplätzen zu beschränken, hilft nicht, die Stürme der Gegenwart zu überstehen. In der Ausbildung strategischer Kommunikator:innen muss diese Verantwortung ebenfalls thematisiert werden: Nicht als Moraldiskurs, sondern als Kompetenzfrage. Wer Diskurse gestalten will, braucht nicht nur Methoden, sondern Haltung.
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