Für einen Akademiker ist es immer wieder wichtig, sich zu erden – vor allem, wenn er sich mit so praktischen Dingen wie der Unternehmens- oder Onlinekommunikation beschäftigt. Insofern sind Workshops, zu denen ich von Unternehmen als Experte eingeladen bin, auch immer für mich hochspannend und lehrreich. So auch der Social Media-Workshop, zu dem Daimler den PR-Blogger Klaus Eck und mich dieser Tage geladen hatte. Diesmal ging es weit weniger um Tools oder inhaltliche Konzepte als um Fragen der Unternehmenskultur und der Online-Reputation.
Daimler-Blogvater Uwe Knaus hatte bewusst zum ersten Geburtstag des Blogs nicht einfach eine Fete für die Beteiligten (also vor allem die bloggenden Mitarbeiter) organisiert, sondern einen Workshop (offen für Mitarbeiter aus allen Bereichen), in dem die Bedeutung des Social Web für ein Unternehmen und mögliche Antworten auf die veränderte öffentliche Kommunikation diskutiert wurde. Dass es dabei nicht nur um Blogs gehen konnte, lag auf der Hand. Deshalb war auch die im August gestartete Daimler-interne Business Innovation Community ein zweites wichtiges Thema das Nachmittags. Mit beiden Projekten, Blog und Innovations-Community, hat sich der Konzern in neues Terrain gewagt, immerhin keine Unfälle (pdf) gehabt, sondern und schon einiges erreicht. Wobei es duraus viele weiter gehende Erwartungen und Ideen gibt. Im Workshop (nach 70 Anmeldungen musste die Liste geschlossen werden) zeigte sich aber einmal mehr, wie wenig wichtig einzelne Tools und wie bedeutsam dagegen Ziele, Nutzen und die Unternehmenskultur sind, um in der Social Media-Welt zu bestehen – oder gar ein Enterprise 2.0 zu werden. Wobei an diesem Nachmittag einmal wenig über die Perspektive der externen Stakeholder diskutiert wurde, sondern die Innensicht im Mittelpunkt stand (Anfang des Jahres gab es bereits einen Workshop, in dem es mehr um konzeptionell-inhaltliche Fragen und die Stakeholder ging).
Für Michael Kuhn, den Verantwortlichen der Business Innovation Community, musste der jetzige Workshop genau zur richtigen Zeit gekommen sein: Denn gerade vor ein paar Tagen konnte Daimler der Öffentlichkeit eine neue Geschäftsidee präsentieren, das Car2Go-Konzept, das innerhalb weniger Monate (sprich: in Rekordzeit) aus Kuhns Bereich heraus auf den Weg gebracht worden war. Genau solche neue Geschäftsideen sollen nun intranetbasiert von allen Mitarbeitern entwickelt werden können. Grob vergleichbar ist das Ganze mit Ansätzen der Open Innovation wie es sie auch bei Dell, Starbucks oder Tchibo gibt: Wer eine Idee hat, veröffentlicht diese, andere bewerten und diskutieren sie. Angereichert ist das Ganze um zahlreiche Funktionen, die man aus Social Networks wie Xing oder Facebook kennt.
Immerhin haben sich fast 7.000 Mitarbeiter seit August angemeldet, 345 Geschäftsideen (es geht also nicht um Produktentwicklungen oder -verbesserungen) wurden bisher eingereicht. Betrachtet man das System, dürfte man von den Funktionen der Plattform schnell begeistert sein. Und wie Kuhn berichtete, bestehen intern einige Hoffnungen, dass mit ihr greif- und kalkulierbare Ergebnisse entstehen – wobei Vorstandsvorsitzender Dieter Zetsche sicher richtig damit liegt, dass es in einem hierarchisch gegliederten Unternehmen schon ein großer Gewinn ist, wenn Mitarbeiter über unterschiedliche Hierarchien oder Standorte hinweg überhaupt einmal die Möglichkeit (und die Freiheit) bekommen, miteinander in Kontakt zu kommen und neue Ideen zu diskutieren. Die größte Herausforderung ist dabei sicherlich die, dem mittleren Management klar zu machen, dass es eben keine vergeudete Zeit ist, wenn sich deren Untergebenen auf der Innovationsplattform engagieren. Das Dilemma bleibt aber: Nutzt ein Mitarbeiter zwei Stunden in der Woche eine solche Plattform (oder bloggt), sind das zwei Stunden, die zwar für das Unternehmen, aber nicht für die jeweilige Abteilung bzw. den Geschäftsbereich eingesetzt werden.
Mit dieser Herausforderung haben die Kommunikationsleute, die das Daimler Blog verantworten, seit einem Jahr genauso zu kämpfen. Natürlich finden sie Mitarbeiter, die aus Spaß an der Sache dabei sind. Sie können das auch in der Arbeitszeit tun. Aber wie sich im Workshop gezeigt hat, scheint doch die Kultur in verschiedenen en Bereichen des Unternehmens auch heute noch sehr unterschiedlich zu sein: Denn während manche Chefs es prima finden, dass ihre Mitarbeiter einen kleinen Beitrag zur Online-Reputation von Daimler beizutragen suchen, ist anderen ein solcher Ansatz höchst suspekt. Und während der eine bloggende Mitarbeiter von seinen Kollegen Hinweise bekommt, worüber er doch mal schreiben könnte, kann es auch sein, dass ein anderer Autor in seiner Abteilung schief angeschaut wird – womöglich hat er ja zu wenig zu tun und bloggt statt dessen. Oder er hat es gewagt, seine eigene Meinung zu schreiben. Witzig, dass nicht die Kommunikationsabteilung der Filter zu sein scheint, sondern die Struktur.
Nicht nur vor diesem Hintergrund fragen immer wieder Mitarbeiter, warum gerade sie sich da aus der Deckung wagen sollten. Ein paar grundsätzliche Argumente habe ich in meinem Vortrag zu liefern versucht. Dennoch bleibt die Frage des Nutzens bzw. der Motivation für den einzelnen. Dass es dabei überhaupt nicht um monetäre Aspekte geht, war im Workshop sofort Konsens. Entscheidend ist jedoch für Mitarbeiter, die am Ruf ihren Unternehmens mitarbeiten wollen, eine Form der Anerkennung zu finden. „Es geht mir darum, dass es respektiert wird, wenn ich sowas mache“, meinte ein Teilnehmer der Diskussion. Es geht also nicht nur darum, ob Corporate Blogger von außen akzeptiert werden, sondern auch, welches Klima sie intern antreffen. Zugespitzt und umgedreht: Aus autoritären Strukturen heraus kann man nicht im Social Web bestehen.
Michael Kuhn und sein Team haben sich ein paar Mechanismen ausgedacht, die innerhalb der Innovations-Community langfristig ein wenig einer solchen Anerkennung schaffen können: Da lassen sich nicht nur Vorschläge bewerten, sondern engagierte Mitglieder und Ideengeber können hervorgehoben werden. So wie es in manchen Supermarktketten den Mitarbeiter des Monats gibt, lässt sich hier noch viel mehr entwickeln, das Akzeptanz fördern und Respekt gegenüber den Engagierten ausdrücken kann. Weitergehend: Wer weiß, wie große Unternehmen funktionieren, kann einschätzen, welch dicke Bretter gebohrt werden müssen, will man darüber hinaus einem Ideengeber ermöglichen, seine eigene Geschäftsidee umsetzen zu dürfen und ihn für eine Zeit von der regulären Aufgabe zu entbinden. Aber genau das, so denke ich, muss funktionieren. Klar wird aber jedem, dass da ein kleines Social Media-Tool plötzlich ein Domino in Gang bringt, dessen Steine Aufschriften wie „Hierarchie“ oder „Unternehmenskultur“ tragen, aber auch die Personalentwicklung berühren. Und die Kommunikationsabteilung sieht Steine wie „One Voice Policy“ oder die Trennung von interner und externer Kommunikation wackeln und neue wie „Coaching“ auf den Tisch fliegen.
Insofern ist faszinierend, wie sehr zwei doch recht kleine (und vergleichsweise billige) Projekte Veränderungen in einem Unternehmen anstoßen können. Wie weit diese in einem so großen Unternehmen überhaupt wahrgenommen werden und ob dadurch jahrzehntelang Zementiertes wirklich umkippt, nur leicht wackelt oder gar nicht berührt wird, muss man abwarten. Ein klein wenig hängt das vielleicht von der persönlichen Risikobereitschaft einzelner ab: derer, die trotz der vielen Bedenken in ihrem Umfeld eine Geschäftsidee in die Community werfen oder die einen Blogbeitrag schreiben. Realisierte Geschäftsideen oder die deutlich gestiegenen Leserzahlen des Daimlerblogs (70.000 Seitenzugriffe/Monat) und gute Diskussionen in den Kommentaren sind ja auch motivierend.
Spannend war übrigens noch ein anderer Eindruck, den ich – wie schon in anderen Unternehmen – von diesem Workshop mitgenommen habe: Einige Teilnehmer hatten spontan Ideen, Social Media intern und da vor allem innerhalb einer Abteilung oder eines Teams einzusetzen – oder auch gemeinsam mit einem Zulieferer. Geht es also um Wissens- und Projektmanagement, scheint der Nutzen neuer Instrumente von einigen Mitarbeitern ganz intuitiv wahrgenommen zu werden. Die Frage ist, ob Wissens-, Innovations- und Kommunikationsmanagement da nicht ganz neue Schnittstellen bekommen. Aber das ist ein weites Feld ;-)
Hier noch mein Vortrag (manchem werden ein paar Folien daraus schon bekannt vorkommen):
Disclosure: Wir haben in den ersten Monaten im Auftrag der Daimler AG Begleitforschung zum Daimlerblog betrieben.
Update, 30.10.08: Gerade mit Blick auf die hier diskutierte Unternehmenskultur sei auf einen zwischenzeitlich von Daimler-Mitarbeiter Mario Jung im Daimler-Blog veröffentlichten Artikel verwiesen: Gedanken zum Produktionsstopp. Dass ein solcher Text überhaupt möglich ist, ist aus meiner Sicht schon ein Signal.
Update, 31.10.08: Klaus Eck hat seine Eindrücke vom Workshop und seine Präsentation im PR-Blogger veröffentlicht.
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