Derzeit wird das Thema Bloggen an verschiedenen Stellen wieder intensiver diskutiert. Ein Anlass dafür war auf internationaler Ebene der Rückzug von Andrew Sullivan (The Daily Dish) aus der Welt des Bloggens. Besonders in den USA hatte er ähnlich wie Dave Winer und einige andere eine besondere Vorbildfunktion. Ein anderer aktueller Diskussionsstrang findet sich in der deutschsprachigen PR- und Marketingszene: Dort hatte Klaus Eck zur Blogparade zu Content Marketing und Corporate Blogs aufgerufen. Mehr als 50 Artikel mit Empfehlungen, strategischen Überlegungen und Fallbeispielen zeigen, dass Klaus mit dem Thema offenbar einen Nerv getroffen hat. Ergänzend dazu meine ich: Wir sollten auch über die Ausbildung sprechen, wenn wir Corporate Blogs als einen Baustein einer Content Strategie verstehen. Und als ich mir das vorgenommen habe, ist mir aufgefallen, dass es nun zehn Jahre her ist, seit ich in unserer PR-Lehre das Blog PR-Fundsachen auf den Weg gebracht habe, das seitdem von Studenten bespielt wird. Ein guter Moment, hier mal wieder über Blogs in der Lehre nachzudenken.

Blick zurück
Ein Blick zurück: Als ich die PR-Fundsachen gestartet habe, war Bloggen die vieleicht aufregendste und wichtigste Möglichkeit, sich vom konsumierenden Internetnutzer in die Rolle eines Gestalters von Inhalten zu bewegen und Orte für Diskussionen zu schaffen. Bloggen war für eine – an sich recht kleine – Community zumindest zeitweise zum Ausdruck einer Lebensweise geworden. Es ging nicht nur darum, selbst mit geringen Hürden publizieren zu können, sondern besonders um die Vernetzung, den offenen Austausch von Wissen und Meinungen.
Zur selben Zeit haben einige Kollegen und Praktiker in den USA, Großbritannien und einzelne im deutschsprachigen Raum erkannt, dass Blogs bei weitem nicht nur Ausdrucksmöglichkeit für Privatpersonen sind, sondern auch in der professionellen Kommunikation, also im Journalismus, in Unternehmenskommunikation, in Kultur oder Nonprofit Campaigning eine Rolle spielen können.
Und in der Didaktik wurde erkannt, dass recherchieren, publizieren, Wissen teilen, sich mit anderen vernetzen etc. unter anderem durch Blogs unterstützt werden kann. Dies zielt vor allem in Richtung informelles Lernen, ein Ansatz, der auch eine große Rolle spielt, wenn wir über lebenslanges Lernen sprechen (weitergehend ist der Ansatz des Connected Learning sehr interessant).
Corporate Blogs heute
Tempi passati? Vieles hat sich seitdem verändert. Schauen wir mal nur in die Unternehmenspraxis und dort auf die Corporate Blogs, so muss man nüchtern feststellen, dass es gar nicht so viele gibt (verglichen z.B. mit Facebook-Seiten) und vermutlich noch mehr krachend gescheitert sind. Warum? Mal sind es unzureichende inhaltliche Konzepte, die nicht dauerhaft tragfähig sind, mal fehlen Mittel und vor allem interne Fürsprecher, in anderen Fällen wurde irgendwas veröffentlicht, nur keine Blogposts. Auf der anderen Seite gibt es gut funktionierende Blogs, die offensichtlich auch klar in die Kommunikation ihrer Betreiber einzahlen.
Hinzu kommt: Heute ist Bloggen nur eine von hunderten Möglichkeiten, sich im Web auszudrücken. Inzwischen ersticken wir fast schon in Vielfalt: Social Networks wie Facebook haben die Wahrnehmung hierzu weitgehend absorbiert, visuelle Ausdrucksmöglichkeiten haben durch Youtube, Vine, Instagram, Pinterest etc. eigene Ökosysteme gefunden, hinzu kommen Twitter und viele weitere Möglichkeiten. Ich finde das wunderbar als Erweiterung der Möglichkeiten oder – wenn wir aus Sicht der Content Strategie sprechen – der strategischen Optionen.
Entscheide ich als Privatperson nach meinen Interessen, was ich konsumiere, wo ich mich vernetze oder wo ich publiziere, so entscheiden Content Strategen nach rationalen Kriterien. Typischerweise stellen sich dabei zwei einfache Fragen: Wie und wo erreiche ich eine bestimmte Zielgruppe am besten und inwiefern erreiche dort ich meine Kommunikationsziele? Und schließlich muss ich wissen, welche Kommunikationsziele ich mit welcher Maßnahme überhaupt realistisch unterstützen kann. Ein Blog hat natürlich eine andere Funktion als ein Youtube-Kanal oder eine Facebook-Seite. Banal auch: Wer mit Blogs direkt den Absatz fördern will, ist in aller Regel schief gewickelt. Und eine der schwierigsten Aufgaben rund um Corporate Blogs ist das inhaltliche Konzept, das im besten Fall nur einen Rahmen setzt und zur Kultur wird.
Hierzu sollte man einige Hintergründe haben – und am besten Erfahrungen. Auf einer praktisch-handwerklichen Ebene gehört hierzu, Kommunikationsmöglichkeiten im Netz gut zu kennen und diese bespielen zu können. Deshalb sollen unsere Studierenden nicht nur wissenschaftliches Verständnis entwickeln (z.B. zu Nutzerforschung), sondern schlichtweg auch lernen, wie man bloggt, twittert, Facebook-Seiten füttert, Communities moderiert etc.
Das Lehrkonzept
In diesem Kontext sind nun die PR-Fundsachen ein Baustein in der PR-Lehre. Am 10. März 2005 online gegangen, wurden bisher etwa 1.100 Artikel darin veröffentlicht. Studierende, die sich für den PR-Schwerpunkt entschieden haben, mussten bisher für zwei Semester das Blog im Team bespielen. Die kleinste Gruppe bestand aus zwölf, die größte aus 24 Studenten. Wie der Name sagt, sind die PR-Fundsachen ein Themenblog, es geht dort – ähnlich wie hier im Textdepot – um aktuelle Themen der Kommunikationsbranche, seien es Studien, Fallbeispiele, Events oder neue Tools. Mit der Zeit sind zum Blog Twitter und eine Facebook-Seite dazu gekommen – andere Instrumente der Onlinekommunikation werden in anderen Zusammenhängen betrachtet.
Organisatorisch angedockt war das Ganze über die Jahre an ein Seminar zu Kommunikationsmanagement (Konzept im Detail). Um ihren Schein zu bekommen, mussten die Studierenden eine bestimmte Zahl an Blogbeiträgen schreiben und ein wissenschaftliches Format (Hausarbeit, Lexikonartikel o.ä.) abliefern.
Die Ziele

Aus meiner Sicht können mit dem Bloggen in der PR-Lehre vielfältige Ziele unterstützt werden, was einen besonderen Charme ausmacht:
- Themenfindung: Bloggen hilft, Themen zu finden und zu entwickeln
- Recherche: Damit verbunden ist typischerweise die (Online-)Recherche: Was wurde zu einem Thema bereits gesagt, welche Postionen gibt es etc.
- Web Editing: Hier geht es um eine spezielle Form, eben das Schreiben im Blog mit all seinen Besonderheiten wie dem Umgang mit Links, der Tonalität etc.
- Content Management: Dazu zählt nicht nur der Umgang mit dem CMS, sondern auch Fragen der Organisation von Inhalten, etwa mit Hilfe von Kategorien, Tags etc.
- Redaktionelle Organisation – ausgehend von der Zeitplanung für Artikel über Qualitätssicherung durch Vier-Augen-Prinzip bis zur Nutzung von Social Media-Kanälen.
- Branchenkenntnis: Kennenlernen aktueller Themen der Kommunikationsbranche – vor allem als Ergänzung zum Lehrbuchwissen
- Vernetzung: Wahrnehmen von und Vernetzen mit Akteuren der Branche, seien es Studierende anderer Hochschulen oder Agenturchefs. Akademisch ausdrückt: Studierende sollen Teil einer Community of Practice werden.
- Lebenslanges Lernen: Hierzu habe ich die Hypothese, dass das regelmäßige Verfolgen aktueller Fachdiskussionen im Web ein Baustein des lebenslangen Lernens ist und der Wissensgewinn umso größer, je aktiver man ist. Sprich: Wer selbst Beiträge leistet und z.B. bloggt, lernt am besten.
- Positionierung: Im übertragenen Sinne ist auch ein Blog in der Lehre ein Baustein zur Außendarstellung und so etwas ähnliches wie ein Corporate Blog.
Wenn ich es überlege, hat sich in den zehn letzten Jahren wenig geändert an diesen groben Zielsetzungen. Nach wie vor geht es um der Lernen von der Praxis und den Erwerb von Fachkompetenz. Didaktisch hat sich das Ganze dagegen deutlich entwickelt – von der Blogkompetenz zum Konzept der Web Literacy, da ist das Bloggen nur ein Baustein von vielen. Und klar, die Onlinewelt ist vielstimmiger geworden – und wir sind auch längst nicht mehr der einzige Studiengang, bei dem Bloggen auf dem Stundenplan steht. Die Anforderungen an das Lernen und in der Praxis an Corporate Blogs haben sich dagegen kaum geändert. „Wissenssucher“ Falk Hedemann:
„Vielmehr brauchen die Unternehmen dafür umfassendes Content-Wissen, das sich prekärerweise komplett von dem Wissen unterscheidet, mit dem die Unternehmen bisher nach außen kommuniziert haben.“
Die Erfahrungen
Um es vorweg zu sagen: Gelegentlich bin ich ein wenig desillusioniert. An sich finde ich es schade, immer detaillierte Vorgaben machen zu müssen, etwa zur Zahl der Blogposts, die jeder im Gruppenblog schreiben muss. Das ist so natürlich, wie es manche professionelle Corporate Blogs halt auch sind: An die Stelle des Flows rückt oft die Planung – die in einem Semester mal besser, im anderen mal schlechter gelingt. Sehr nett ist immer zu sehen, wenn sich am Ende des Semesters auf einmal einige Autoren fast zu überschlagen scheinen. Selten gelungen ist bisher auch, für Twitter und die Facebook-Seite eine eigene Content Strategie zu entwickeln und sie zu mehr zu machen als Ausspielstationen für Blogposts.
Da aber die Lernziele wie oben dargestellt sehr breit sind und es nicht nur darum geht, ein Blog inhaltlich weiter zu entwicklen und Blogposts zu schreiben, sondern sich auch fachlich in der PR sicherer zu bewegen und die Branche kennen zu lernen, nehme ich das hin.
Was ich immer wieder feststelle: Je mehr die Studierenden vorher journalistisch gearbeitet haben, desto schwerer tun sie sich mit dem Bloggen. Oft jedenfalls. Das gilt für die Schreibe genauso wie für den meist knausrigen Umgang mit Links. Da kämpfen die Konzepte der verteilten Konversation und des Wissensaustauschs mit dem Konzept des Publizierens. Aber das scheint eine allgemeine Entwicklung zu sein, schrieb vor ein paar Tagen Matthew Ingram in einem sehr lesenswerten Post zum Bloggen:
„…some bloggers stopped thinking as much about being part of a larger ecosystem — one in which they linked to and sent traffic to other bloggers, and in turn relied on their resources and links — and started thinking about becoming their own independent media entities instead. In effect, they turned inwards, and became more concerned with creating their own content and building up their readership, and turning that into a business.“
Kritisch einräumen muss ich an dieser Stelle, dass uns eigentlich fast immer viel zu wenig Zeit blieb. Etwa, um Corporate Blogs genau zu analysieren, neue Formate zu überlegen oder gar zu diskutieren, ob Corporate Blogs überhaupt Blogs sind oder sein sollten. Auch Aspekte wie Multimedialität, Bildsprache oder SEO verdienten mehr Raum, genauso wie das Storytelling zum Studium selbst. Manche Gruppe hat letzteres übrigens mehr oder weniger offen abgelehnt – was mich immer etwas geschmerzt hat, denn Bloggen hat ja vieles mit einer offenen Kultur zu tun, wie Jan Westerbarkey betont oder wie Uwe Knaus zum Relaunch des Daimler-Blogs gesagt hat:
„Die ursprüngliche Bedeutung für Blog ist „Tagebuch“, und das soll auch so bleiben. Übertragen auf ein Corporate Blog bedeutet das, dass die Geschichten und ihre Erzähler im Vordergrund stehen sollten.“
Für uns zeigten sich immer wieder Grenzen, auch solche, die sich daraus ergaben, dass das PR-Bloggen bisher in eine andere Lehrveranstaltung integriert werden musste. Und: Für Studierende wurde es mit der Zeit schwieriger, überhaupt einen thematischen Einstieg in Szene der Online-PR zu finden, Neues von alten Diskussionen zu trennen etc. Und es zeigte sich zunehmend, dass einige Studierende beim Bloggen verkrampfen – haben sie doch jahrelang gesagt bekommen, dass das Web nichts vergisst, weder das unschickliche Partybild, aber halt auch nicht, wenn sie als Neulinge in der Branche mal fachlich daneben greifen. Insofern drehten sich unsere Diskussionen besonders häufig um mögliche Themen, Akteure, Hintergründe – und um die eigene Positionierung im Web. Viel mehr Zeit hätten wir auch verwenden können für die detaillierte Besprechung der Textqualität.
Allerdings ist mir in all den Jahren erst einmal passiert, dass eine Absolventin ein paar Jahre später darauf bestanden hat, dass ich ihre Artikel lösche. Auf der anderen Seite: Gestern hat mir ein Absolvent erzählt, er habe fast alles, das er im Studium gelernt hat, im Job verwenden können. Er war im ersten Jahrgang, der die PR-Fundsachen bespielt hat und hat gerade eine Agentur für digitale Markenführung gegründet. Insgesamt bin ich sehr optimistisch in Bezug auf die übergeordneten Ziele wie Web Literacy und lebenslanges Lernen. Ob und wie gut das für unsere Absolventen auf lange Sicht funktioniert, ist eine Fragestellung, die gerade in einer Dissertation untersucht wird. Klar scheint mir, dass wir auch zu diesen Themen im Studium nur ein Handwerkszeug bereitstellen können. Ich hoffe, es ist das richtige. Seine Anwendung liegt dann jedoch in der Verantwortung der einzelnen.
Die Zukunft
Auch wenn ich hier nur über das Bloggen in der Lehre geschrieben habe: Es ist klar, dass dies nur einer von vielen Qualifikationsbausteinen angehende PR-Leute ist. Ich halte ihn aber weiterhin für sinnvoll, sowohl aus den angedeuteten didaktischen Überlegungen heraus, aber auch, damit unsere Absolventen in der Praxis dann Konzepte entwickeln, Ressourcenbedarf richtig einschätzen und bei Bedarf das Ganze inhaltlich bespielen können. Ähnliches gilt natürlich für all die anderen Möglichkeiten im Rahmen einer Content Strategie.
Im nächsten Semester bekommt die Branchenbeobachtung und damit verbunden das Bloggen in den PR-Fundsachen endlich mehr Raum in Form einer eigenen Lehrveranstaltung. Hier wird dann die Vernetzung noch eine größere Rolle spielen. Kann also gut sein, dass ab Frühjahr eine Horde Studenten bei Barcamps oder dem Webmontag auftaucht. Das sind dann Viertsemester aus dem bisherigen Studiengang Onlinejournalismus.
Die Studierenden im neuen Studiengang Onlinekommunikation wurden von meinen Kollegen Sabine Hueber und Martin Wessner bereits im ersten Semester zum Bloggen, Twittern, Instagramen und noch mehr gebracht. Und unter dem Hashtag #onkomm bekommt man auf Twitter sehr viel mit über den Studienalltag – Storytelling ergibt sich da einfach. Für die PR-Fundsachen aber stehen die Chancen gut, dass es sie noch ein bisschen länger gibt. Mal schauen, vielleicht sogar demnächst mit einem Relaunch. Es wäre der fünfte.
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