Wie dieser Tage angekündigt, sind beim Content Strategy Camp auch Studierende meines Seminars Content Strategie dabei. Zur Vorbereitung beschäftigen wir uns mit ausgewählten Studien und Fallbeispielen zu Content Marketing und Content Strategie. Ich bereite diese Unterrichtseinheit hier als Blogpost vor.
Dabei geht es diesmal weniger um Grundlagen, sondern um aktuelle Diskussionen zum Thema.
Studie I: Praxis des Content Marketing
Mehr, mehr, mehr: Mehr Content, mehr Jobs, mehr Agentur-Aufträge. Das ist ein Ergebnis einer Befragung von 700 Marketing-Leuten aus Europa, veröffentlicht im „Content Marketing Report Europe 2016“ von HubSpot und Smart Insights (kostenloser Download nach Registrierung). Fachlich interessanter finde ich die folgenden Ergebnisse:
a) Strategie: Eine wirklich in Marketing und Kommunikation integrierte Content Marketing-Strategie haben 40 Prozent der Befragten. Oder andersrum: Die Entwicklung einer stimmigen Content Strategie gilt als größte Herausforderung.
b) Instrumente: Als effektivste Instrumente gelten unter den Befragten:
- Corporate Blogs
- Newsletter & Online Magazine
- Infografiken
- Long Form-Beiträge (z.B. Whitepapers)
Die lange Zeit beliebten Quizzes, Gewinnspiele, die so manchen Leuten heiligen „viralen“ Videos, aber auch Foren, liegen in der Einschätzung der Befragten deutlich dahinter, wenn es um Effektivität geht.
c) Zur Distribution von Content am wichtigsten sind
- SEO
Mögliche Diskussionspunkte:
- Wenn immer mehr Content produziert wird: Wie lässt sich ein Content Schock vermeiden?
- Welche konkreten Maßnahmen würden Sie als Verantwortliche/r hierzu ergreifen?
Studie II: Neues vom Nutzer
Tja, befürchtet hat man das ja schon immer: Die Medienkompetenz von Nutzern ist ausbaufähig. Fast jeder zweite in den USA (43 Prozent) ist sich nicht im Klaren, wer hinter einzelnen Stories steckt, die im Social Web so rumschwirren. Dort kommen in den Streams vollkommen unterschiedliche Arten von Quellen zusammen: Blogposts von Freuden, News von Medienmarken, ggf. Fakes oder Propaganda obskurer Gruppierungen oder Pseudomedien und natürlich auch Content Marketing-Häppchen von Unternehmen oder NGOs. Und letzteres wirkt, hurra: Denn etwa zwei Drittel der Nutzer sind bereit, eine Markenwebsite oder App zu besuchen, wenn sie im Social Web etwas Interessantes von bzw. über diese Marke gesehen haben.
Hinter der nicht frei zugänglichen Untersuchung (Zusammenfassung), die das zu Tage gefördert hat, steckt ein Zusammenschluss von US-Publishern, Digital Content Next (früher: Online Publishers Association).
So weit, so schön. Diskussionsthemen wären aus meiner Sicht:
- Was bedeutet der erwähnte Aspekt der Medienkompetenz gesellschaftlich, wenn wir mal mutig unterstellen, in Deutschland gilt in der Tendenz ähnliches? Nebenbei: Das Ganze knüpft inhaltlich auch an den Artikel „Content Marketing – Gefahr oder Chance?“ an, den eine Studentin aus dem Team dieser Tage in den PR-Fundsachen veröffentlicht hat.
- Ein anderer Aspekt aus Unternehmenssicht: Verlieren im geschilderten Szenario Marken an Bedeutung oder ist es eher umgekehrt?
Fallbeispiel: Content Marketing aus der Hölle?
Ende April raste der Börsenkurs des im M-DAX geführten Werbevermarkters Ströer in den Keller. In einer Stunde hatte das Unternehmen ein Drittel seines Börsenwertes verloren, das waren etwa 780 Millionen Euro. Wie kam es dazu? Ein US-Hedgefonds, Muddy Waters (sic!) hatte auf einen sinkenden Börsenkurs gewettet und dann eine eigene laut FAZ „vernichtende Studie“ veröffentlicht. Darin hatte die Investmentfirma massive Zweifel an Ströer geäußert. Die Kölner wiederum weisen das Ganze als „verleumderisch“ zurück. Laut FAZ-Artikel waren auf dem Finanzportal Bloomberg zuvor 14 Analysten zum entgegengesetzten Urteil wie Muddy Waters gekommen. Von Medien befragte Analysten sind auch nach dem Muddy Waters-Report bei einer positiven Einschätzung geblieben.
Eine ähnliche Erfahrung wie Ströer hatte vor einigen Wochen das Münchener Unternehmen Wirecard gemacht: Damals war ein bis dahin vollkommen unbekanntes Research-Haus mit einer überraschend negativen Analyse in Erscheinung getreten.
„Auch hinter diesen vernichtenden Bewertungen vermuten Beobachter Leerverkäufer, die von fallenden Kursen profitieren“, heißt es in der FAZ. Und das Manager Magazin zitiert einen Ströer-Sprecher so:
Muddy Waters hat „ein fundamentales Eigeninteresse daran, mit falschen Behauptungen (…) den Aktienkurs von Ströer zu manipulieren und bei deutlich sinkenden Kursen signifikante Spekulations-Gewinne zu erzielen.“
Ein Fall, der ein bisschen nach Spielcasino klingt und natürlich ausführlich juristisch analysiert werden muss, was nicht unsere Baustelle ist – aber er hat sicher auch mit ethischen Fragen zu tun. Ob das interessengeleitete Publizieren eines Reports in diesem Fall als Content Marketing bezeichnet wird, wäre eine Frage.
Mögliche weitere Diskussionspunkte wären:
- Überschreitet Muddy Waters die Grenze des ethisch Akzeptablen durch die Veröffentlichung des kritischen Papiers?
- Können Sie sich Beispiele für Content Marketing vorstellen, bei denen Sie aussteigen würden? Was wären Ihre Pain Points?
Übrigens: Über Vorschläge zu anderen instruktiven Beispielen oder/und Erkenntnissen rund um Content Strategie oder Content Marketing freue ich mich natürlich immer.