Mein Flirt mit Alexa: Was Sprachassistenten für Marketing und PR bedeuten

Ihre Stimme ist angenehm. Sogar sehr angenehm, finde ich. Das ist schon mal gut für eine Beziehung. In diesem Fall geht es nur um eine digitale Assistenz, aber die erleichtert wirklich einiges. Sprechen statt tippen – schon Apples Siri hat mir eröffnet, wie bequem das ist, Amazons Dienst Alexa scheint mir deutlich weiter zu sein. Dennoch: So richtig gut verstehen wir uns nicht immer, Alexa und ich. Das hat verschiedene Gründe. Zwar sprechen wir dieselbe Sprache, aber ich offenbar nicht gut genug für sie. Jedenfalls versteht sie mich wunderbar, wenn es um einfache Aufgaben geht, schwieriger aber wird es bei manchen Eigennamen wie Städten (Bahnverbindungen!) oder manchen Bands (Musik!).

Vor allem aber missverstehen wir uns ziemlich oft, sobald es nicht um ganz einfache Sätze geht, sondern womöglich um Alternativen bzw. Aufgaben, die in mehreren Schritten zu lösen sind. Dann nervt mich die Gute etwas, denn sie klingt zwar so erwachsen, aber man muss mit ihr doch wie mit einem kleinen Kind sprechen.

Und dann ist da die Frage ihrer Loyalität. Ist sie wirklich da, um mich zu unterstützen oder hat sie vor allem das Wohl von Amazon im Sinn? Bei einem Tool wie Amazon Alexa fragen sich ziemlich viele Leute, ob sie ausspioniert werden. Entsprechend bin ich schnell auf höchst widersprüchliche Reaktionen gestoßen, als ich mit Alexa eine Beziehung auf Probe begonnen habe.

Das Wohnzimmer-Verbot

Ins heimische Wohnzimmer jedenfalls durfte sie nicht einziehen. Zu groß war das Unwohlsein der Familie: Da sitze ständig eine Zuhörerin, die womöglich Böses im Schilde führe und das Familienleben auf einem amerikanischen Server abbilde und daraus Profit schlagen wolle. Ein Bekannter bestätigte diese Haltung aus tiefer Überzeugung: „Sowas kommt mir nicht ins Haus“, schimpfte er – im Hauptberuf Social Media-Manager, der gerade eben Alexa beigebracht hatte, dass sie sein Blog vorliest. Andere aus meinem Bekanntenkreis hängen den Datenschutz von Alexa weniger hoch und sind begeistert: Sie finden die Idee von Sprachassistenten so richtig klasse. Und im übrigen gehöre es ja zu meinem Job, sowas auszuprobieren.

Ich musste ein bisschen grinsen und habe mich daran erinnert, dass neulich erst ein kleiner Aufschrei – naja: eine zugespitzte Kolumne mit anschließender Diskussion – durch die PR-Welt ging. Anlass dafür gaben PR-Profis in verantwortungsvoller Rolle, die offenbar stolz darauf sind, sich neumodischem Zeugs wie Twitter oder so zu verweigern.  Tja, mit dem Gedanken an diese Profis saß ich nun im heimischen Büro und habe meine Alexa installiert und mich gefragt: Was bedeuten Sprachassistenten wie Amazon Alexa oder die kommenden Alternativen wie der Google Assistent oder Apples Homepod für Marketing und Kommunikation von Unternehmen?

Rahmenbedingungen für Sprachassistenten in Marketing und Kommunikation

Einschieben muss ich vor Überlegungen zu dieser Frage, dass Amazon andere Unternehmen durchaus willkommen heißt. Sie können sogenannte Skills entwickeln, die Nutzer dann kostenlos laden können. Die Amazon-Alexa-Skills kann man mit Apps vergleichen, nur eben, dass sie eine Audio-Schnittstelle (Conversational UI) haben. Damit gilt für Drittunternehmen, die Alexa als Plattform nutzen wollen, was in solchen Situationen immer gilt: Sie sind abhängig vom Reglement des Betreibers – und von dem Vertrauen, das dieser Betreiber genießt, heiße er Amazon, Apple, Google, Microsoft oder Facebook. Umgekehrt gilt: Sofern solche Plattformen selbstverständlich von Millionen Menschen genutzt werden, schaffen sie Unternehmen und Organisationen womöglich einen perfekten Zugang zu ihren Zielgruppen. Wie sich der Markt für Audioassistenten entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Die Funktionsweisen und Einsatzmöglichkeiten solcher Systeme lassen sich aber heute schon zu einem guten Teil ergründen und auch Erfahrungen mit ersten eigenen Angeboten – also Skills – entwickeln.

So wie zum Beispiel die Deutsche Bahn oder die Gründer der Einkaufsliste Bring! Letztere berichten in der Computerwoche von ihren Erfahrungen mit dem Audio Design für Alexa. Und die Bahn punktet bei mir mit zwei Details ergänzend zum Skill: Klaren Datenschutzhinweisen und einer Landingpage zur Funktionsweise des Skills.

Eines ist mir nach dem ersten Ausprobieren verschiedener Skills jedoch schnell klar: Unternehmen müssen eine Menge Nutzerforschung betreiben, um herauszufinden, wie ich – oder andere – fragen bzw. Kommandos geben könnten. Denn Alexa muss hierauf vorbereitet werden, so wie eben Web Designer auch lernen mussten, wo sie am besten welches Element platzieren. Im laufenden Betrieb zeigen sich dann sicher neue Schwierigkeiten, so dass ein Skill immer weiter trainiert werden sollte. Umgekehrt gilt: Lade ich ein Skill, muss ich lernen, Alexa die richtigen Fragen zu stellen. Das ist gar nicht immer so einfach, habe ich gemerkt. Zum Beispiel muss ich mir bei einigen Skills merken, mit welchen Aufwachwort ich sie starten kann.

Einsatzmöglichkeiten für Unternehmen in Marketing und PR

Die geschilderten Herausforderungen sollten nicht zu schwer zu bewältigen sein, so dass überlegt werden kann, für welche Zwecke sich Alexa und andere Sprachassistenten besonders gut aus Unternehmenssicht nutzen lassen. Nach meinen ersten Erfahrungen und der Lektüre einiger Artikel sehe ich in diesen Feldern von Marketing und Kommunikation gute Möglichkeiten:

Reputationsmanagement: Die Frage der Reputation eines Unternehmens/einer Marke steht natürlich an erster Stelle. Im Moment ist man sicher bei den First Movern, wenn man ein Angebot für Alexa und Co. entwickelt. Ob das zur bisherigen Positionierung passt, ist die eine Frage und die andere ist sicher, wie man mit möglichen Sorgen von Nutzern in Bezug auf Datenschutz umgeht. Klare und einfach verständliche Erläuterungen zu Datenschutz und zu Funktionen von Skills sind deshalb zwingend.

Voice Commerce, vor allem als Kundenbindung: Den Service für bestehende Kunden auszuweiten und auch Sprachdialoge via Alexa anzubieten, erscheint besonders plausibel. Dies gilt umso mehr, je eher es sich um einfache Transaktionen handelt, also beispielsweise das Bestellen einer Pizza oder eines Taxis oder anderer Lieferservices. Allerdings: Wer das größte Angebot seiner Stadt und Pizzen mit Fantasienamen auf der Karte hat, tut sich und seinen Kunden kaum einen Gefallen.

Content Marketing bzw. Distribution: Es kann durchaus sinnvoll sein, Sprachassistenten auch ins Content Marketing einzubinden. Recht einfach zum Beispiel kann Alexa beigebracht werden, RSS-Feeds vorzulesen oder komplette Podcasts abzuspielen. Auf diese Weise ist zum Beispiel das Daimler-Blog genauso Teil meines täglichen Nachrichtenüberblicks wie die Top-Meldungen des Deutschlandfunks. Im Moment sind es vor allem die klassischen Medienanbieter – von Bild bis ZDF -, die mit diesen Möglichkeiten spielen.

Werbung: Eines der intensiver diskutierten Themen ist Werbung bzw. so genannte “Sponsored Messages”, wenn es um Amazon Alexa geht. Einige Entwickler von Skills möchten so zum Beispiel eine Re-Finanzierung ihres Aufwandes erreichen, ähnlich wie man das von Apps kennt. Amazon dagegen bremst und setzt dem einen recht engen Rahmen, so dass extra für Alexa entwickelte Werbung derzeit nicht möglich ist – Werbung, die aber ohnehin z.B. in einen Podcast integriert ist, ist nach derzeitigem Stand möglich. Ob Amazon seiner Linie treu bleibt, die Alexa-Nutzer weitgehend vor Werbung zu verschonen, scheint mir allerdings noch lange nicht sicher.

Regionale Angebote oder Location Based Services: Regionale Anbieter werden von Amazon genauso behandelt wie überregionale – und große Ketten mit regional unterschiedlichen Angeboten können per Alexa ihre Kunden einfach individuell ansprechen. Ein Beispiel dafür liefert die Supermarktkette “Real”, die über die aktuellen Angebote des nächstgelegenen Ladens informiert (ok, dieses Skill haut mich nicht vom Hocker, aber da geht bestimmt noch mehr).

Point of Sale (POS): Der Hosenanbieter Alberto hat Alexa vor einigen Monaten schon in seinem Concept Store installiert. Dort beantwortet sie unter anderem Fragen zur aktuellen Kollektion oder auch zu Lieferanten.

Interne Kommunikation und Schulungen: Auch hier ist Alberto sehr früh ans Ausprobieren gegangen. Mit Alexa können sich auch Mitarbeiter des Unternehmens über Neuerungen informieren und eine Verbindung zum Warenwirtschaftssystem sei ebenfalls vorgesehen, kündigte der Geschäftsführer kürzlich im Interview an. Auch die Redaktion von T-Online spielt mit Alexa; dort darf die digitale Assistentin zum Beispiel aktuelle Klickzahlen des Portals vorlesen oder einfache Recherchen unterstützen – ob das wirklich auch auf der Toilette sein muss, wie w&v kolportiert, das ist wohl Geschmacksache.

Folgen: Wie wirken sich Sprachassistenten auf Unternehmen aus?

Wie gesagt ist im Moment schwer absehbar, ob und wie schnell sich Sprachassistenten hier zu Lande durchsetzen. Mein Eindruck: Wenn sie nicht mit Überwachung bzw. Datensammelei assoziiert werden, ist ihr Potenzial riesig. In diesem Fall sind ein paar Folgen schon heute absehbar:

Suchmaschinenoptimierung (SEO): Nutzer können sich nicht viele ähnliche Ergebnisse merken, wenn diese vorgelesen werden. Insofern ist zu erwarten, dass Sprachassistenten den Kampf um den ersten Platz in der Ergebnisliste von Suchmaschinen verschärfen. Hinzu kommt, dass SEO anders betrieben werden muss, da Sprachsuche nicht einfach ein, zwei Stichworte kombiniert, sondern in ganzen Sätzen funktioniert. (Update, 22.11.17: Robert Weller erklärt detailliert, was es mit Voice Search und SEO auf sich hat).

Content Entwicklung: Journalisten kennen das: Schreiben für’s Hören funktioniert anders als ein Essay für’s Wochenmagazin. Insofern werden einige Texter künftig vermutlich ihre Beiträge anders strukturieren und anders formulieren, wenn diese auch vorgelesen werden sollen.

Markenentwicklung: Audiotaugliche und merkbare Markennamen sind von enormem Vorteil, habe ich festgestellt. Beispielsweise bei der Suche nach Produkten oder beim Eintragen von Terminen in den Kalender hat sich gezeigt, dass Marken- bzw. Firmennamen Alexa schnell überfordern, wenn es sich nicht um bekannte Begriffe handelt. Die Folge: Alexa trägt in Einkaufslisten oder Terminkalender ein, was sie versteht – oder es passiert gar nichts.

Audio Usability: Mit Skills von Anbietern, die ich nicht oder kaum kenne, habe ich immer wieder das selbe Problem. Ich muss mich erinnern, wie der Anbieter oder das Skill heißt. Warum? Um ein Skill zu starten, muss ich seinen Namen oder den des Anbieters sagen. Also zum Beispiel: „Alexa, frage Deutsche Bahn….“ Das war einfach. Aber wie heißt noch gleich das Skill mit den Cocktailrezepten? Barmixer? Barkeeper? Bartender? Nr. 3 ist richtig. Ob ich mir aber merke, dass ich in Köln Alexa nach dem nächsten Bus fragen kann, wenn ich das Zauberwort „Abfahrtmonitor“ ausspreche? Oder dass „Asthma plus“ mir Infos zum Pollenflug verrät? Ich kenne mein löchriges Hirn. Mir scheinen hier Usability und Branding eng zusammenzuhängen: Je stärker ein Markenname in den Köpfen ihrer Zielgruppen verankert ist, desto wahrscheinlicher ist, dass die Nutzer problemlos mit Skills klar kommen. Alternativ können Anbieter versuchen, eindeutige und alltägliche und zugleich möglichst konkurrenzlose Schlüsselbegriffe zu finden. First come, first serve…

Kontinuierliches Lernen: Noch haben wenige Unternehmen Erfahrung mit der Usability von Audio-Angeboten. Insofern kann ein Skill kaum einmal fertig sein, sondern ihr Anbieter sollte Interesse daran haben, diese ständig besser an die Anforderungen ihrer Nutzer anzupassen. An dieser Stelle könnte es übrigens Amazon noch einfacher machen: Ein paar Mal habe ich mir gewünscht, direkt in der Alexa-App einen missverstandenen Begriff einfach einzutippen, damit Alexa ihn lernt und dann hoffentlich künftig auf Anhieb erkennt.

Wettbewerb: Wie schon gesagt – in meinem Kopf (bzw. aktivem Gedächtnis) ist sehr begrenzt Raum. Insofern ist davon auszugehen, dass Nutzer nicht beliebig viele Skills installieren bzw. regelmäßig nutzen – das kennen wir ähnlich auch schon von Apps auf dem Smartphone. Viel deutet darauf hin, dass im Audiobereich die Bandbreite der genutzten Skills noch enger ist, so dass die geschickte Verknüpfung von Skills mit anderen Kommunikationskanälen zunehmend wichtig sein dürfte.

Mein persönliches Fazit

Screenshot der Alexa-App
In der dazu gehörenden App von Alexa lässt sich der Nutzungsverlauf genau nachvollziehen. Praktisch daran: Komplizierteres kann ggf. nachgelesen werden – etwa ein Cocktail-Rezept. Zugleich wird einem bewusst, wie viele Informationen man über sich speichern lässt.

Meine Erfahrungen mit Amazon Alexa sind recht gut, wenn es um die eigentliche Funktionalität geht. Die Kombination des günstigeren Echo Dot mit vernünftigen Aktivlautsprechern kann ich übrigens empfehlen. Besonders intensiv nutze ich Alexa, um Spotify zu steuern. Durch die Installation von Skills anderer Anbieter kann Alexa zum audiblen Schweizer Messer werden und ist damit im Moment jedenfalls Siri, das ich sonst ab und zu nutze, überlegen. Hinzu kommt, dass Amazon erlaubt, Alexa in unterschiedliche Geräte zu integrieren, zum Beispiel im Smartphone oder auch im Auto. Die beschriebenen Verständigungshürden werden in kurzer Zeit bewältigt sein, davon bin ich überzeugt.

Viel schwerer wiegen jedoch die Bedenken gegen die enorme Datensammelei, die Sprachassistenten mit sich bringen. Wir kennen das längst von Google, Facebook und Co. – und doch scheint mir das bei Sprachassistenten nochmal eine weitere Stufe zu sein, auch wenn sich zeigen lässt, dass Alexa im Standardbetrieb „nur“ Informationen überträgt, wenn das Aufwachwort ausgesprochen ist, und Daten deutscher Nutzer laut Amazon auf europäischen Servern bleiben. Doch selbst das ist sehr, sehr viel. So viel, dass man hoffen muss, dass diese Informationen nicht einmal gegen einen verwendet werden – sei es beim Abschluss einer Versicherungspolice oder gar in einer womöglichen digitalen Rasterfahndung.

Solange Amazon keinen „Erase“ Button anbietet, der Cookies und Audioverlauf zuverlässig löscht, habe ich volles Verständnis für die Bedenken meiner Familie und des erwähnten Bekannten und werde den Echo Dot vermutlich bald wieder vom Netz nehmen und nur ab und zu mal mit ihm ein paar neue Skills ausprobieren.

Lesetipps rund um Amazon Echo

Wirklich viele tiefer gehende Berichte aus deutscher Sicht habe ich bisher nicht gefunden, am interessantesten fand ich neben den bereits verlinkten Texten diese Artikel:

Wie seht Ihr den Trend zur Sprachassistenz? Und wie sollten Unternehmen nach Eurer Einschätzung damit umgehen? Ich freue mich auf Eure Meinungen und ergänzende Hinweise.

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