Moorburg: Vattenfall versucht Themenmanagement

Seit langem war klar, dass die Hamburger grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk heute bekannt geben musste, ob Vattenfall nun das höchst umstrittene Kohlekraftwerk Moorburg weiterbauen darf oder nicht. Der Konzern darf, das sickerte bereits gestern durch. Bemerkenswert finde ich aber die PR von Vattenfall: Denn ausgerechnet heute verkündete das Unternehmen in Brüssel, es wolle bis 2050 CO2-neutral werden – allein, die Botschaft scheint in den Medien vollkommen unter zu gehen. Zumindest bisher.

Dabei heißt es stolz in der heutigen Presseinformation:

„… Vattenfall ist damit weltweit das erste Energieunternehmen, das einen konkreten Plan zur vollständig CO2-neutralen Stromerzeugung vorweisen kann.“

Dass das zeitliche Zusammentreffen der Moorburg-Entscheidung und die Bekanntgabe dieses Ziels kaum ein Zufall sein dürfte, liegt auf der Hand. Im Prinzip eine typische Taktik, in der Krise (echtes oder vermeintliches) Entgegenkommen zu zeigen, um die Polarisierung in einem Konflikt etwas abzumildern. Das Kalkül solcher Maßnahmen sind Medienberichte, die neben dem Thema, das im Mittelpunkt des Interesses steht (also Moorburg), noch andere, möglichst positive Botschaften vermitteln. Es ist also der Versuch eines Themenmanagements, wie es in der Krisen-PR immer wieder versucht wird. Auffällig finde ich, dass dies bisher (so zumindest meine Recherche in Google News, Stand: 30.9., 18.00) überhaupt nicht verfangen hat: Zum jetzigen Zeitpunkt hat noch kein Medium die frohe Kunde von Vattenfall verbreitet, obwohl die Presseinfo schon ein paar Stunden online ist und sogar von der Startseite der Corporate Website aus verlinkt ist.

Die Ursachen dafür dürften vielfältig sein: Zunächst steht natürlich die Nachricht der Genehmigung im Vordergrund des Interesses von Journalisten. Dann wird nach den politischen Folgen gefragt, es geht ja immerhin um eine ungewöhnliche und labile Koalition in Hamburg. Erst im nächsten Schritt dürfte dann das Unternehmen um Stellungnahmen gebeten werden. Vermutlich versucht dann das Unternehmen seine CO2-Botschaft zu vermitteln. Ich bin gespannt, wie diese eingeordnet und bewertet wird.

Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass die ganze Sache so geschickt angefangen wurde.  Denn die Reduktionsmeldung ist gleich mit einer so genannten „Klimainitiative“ („Verbraucher gegen Klimawandel„) verbunden. Und hier gibt es Formulierungen, die mich eher an Lobbying erinnern: Bürger sollen für drei Ziele unterschreiben, die nicht nur dem Klimaschutz, sondern wohl auch Vattenfall gelegen kämen:

„1. Ein weltweit gültiger Preis für die Belastung mit CO2-Emissionen. Reduzierte Emissionen müssen von konkretem Nutzen sein.
2. Mehr Förderung für klimafreundliche Technologien. Ein Technologie-Vorstoß kann den Unterschied ausmachen.
3. Klimaschutzstandards für Produkte. Mit ausführlichen Informationen und höheren Produkt-standards können die Kunden entlastet werden.“

Die frohe Botschaft der CO2-Neutralität (die ich fachlich nicht bewerten kann) ist also mit Forderungen verknüpft. Der Schluß- und Höhepunkt der Pressemeldung:

„Für die ersten 100.000 Unterschriften wird jeweils eine recyclingfähige Figur hergestellt, die die Zustimmung jeder einzelnen Person repräsentiert. All diese Figuren werden dann zu Orten reisen, an denen sich Entscheidungsträger treffen – die letzte Station wird der UN-Klimagipfel in Poznan Ende 2008 sein. Die Figuren werden auf ihrer Reise auch Deutschland, Belgien, Dänemark und Schweden ansteuern.“

Da höre ich schon jetzt den Vorwurf des Greenwashings. Und ich bin erstaunt über die Idee, dass Bürger sich namentlich zu einem Vorschlag des Konzerns bekennen sollen – gerade jetzt, da Vattenfall mit Moorburg politisch heftig polarisiert hat und noch ein ramponiertes Image aus den Atompannen mit sich herumschleppt. Ich bin gespannt, wie Vattenfall in den nächsten Stunden und Tagen auf die Moorburg-Entscheidung kommunikativ reagiert…

Wie bewerten Sie die bisher sichtbare PR-Strategie?

(Hinweis via Mail)

8 Kommentare

  1. Himmel, das klingt wirklich verdammt kopflos.

    Andererseits, vielleicht geht es denen gar nicht darum, jetzt irgendeine Imageverbesserung zu erzielen. So naiv können die doch nicht sein.

    Ich vermute eher, die wollen damit in zwei, drei Monaten Krisenmanagement betreiben und dann eine „alte“ Pressemitteilung vorweisen, um ihr „langfristiges Engagement“ zu demonstrieren.

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  2. Na ja die Webseite ist ja wirklich toll gemacht, aber…

    das Web 2.0 lebt von Glaubwürdigkeit und hier wird ja eher versucht sich durch Verbraucher-Testimonials Glaubwürdigkeit zu verschaffen, die man selbst nicht hat.

    Vermutlich werden die generierten Kontakte noch für Outbound Kundenakquise genutzt. Ich hörte denen sind ja ein paar Kunden abhanden gekommen…

    Und das kommunikative Wirr Warr … was soll ich sagen? Klassische Pressearbeit und Online-PR sind bei Vattenfall nicht aufeinander abgestimmt? Da möge sich jeder bitte seine eigene Meinung zu bilden.

    Die Webseite grenzt ja fast schon an Volksverdummung. In der Natur der Sache des Web 2.0 liegt es, dass Verbraucher sich nicht mehr für dumm verkaufen lassen. Wahrscheinlich hat das die ausführende Agentur, bei den Lobeshymnen auf das Web 2.0, dies dezent untern Tisch fallen lassen. Aber das ist reine Spekulation ;-)

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  3. *In der Natur der Sache des Web 2.0 liegt es, dass Verbraucher sich nicht mehr für dumm verkaufen lassen.*

    Das bezweifle ich. Kaum irgendwo kann man so schnell so viele Leute für dumm verkaufen wie im Web 2.0 – die meisten Leute haben nen Rechner, Internetzugang und ein grenzenloses Vertrauen darin, dass alles, was irgendwo auf ner dubiosen Webseite halbwegs plausibel klingt, auch tatsächlich stimmt.

    Ein verschimmeltes Toastbrot hat mehr Medienkompetenz als der durchschnittliche Internetnutzer. Traurig aber wahr.

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  4. Ich denke, das ramponierte Image ist der Grund, daß die Aktion nicht ankommt. Schon gar nicht gegen das erste schwarz-grün Projekt…

    @Fischer eher verkopft, finde ich – und mit der heissen Nadel gestrickt…

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  5. @Claudia Sommer: Mir scheint es bei der Site um eine klassische Microsite zu gehen, die mit klassischen Mitteln (Präsentation auf Homepage, vermutlich auch mit Anzeigen, Flyern etc.) beworben wird. Damit spricht man zunächst keine typischen Web 2.0-Nutzer an. Die angebotenen Elemente (Banner für’s eigene Blog oder gar die Idee, User könnten motiviert durch ein Unternehmen zum Klimaschutz bloggen) sehe ich als nicht zentral, sondern als zaghafte Versuche, Web 2.0-Elemente mal auszuprobieren.

    Auf der anderen Seite steht die Frage, inwiefern solche Aktionen im Web 2.0 dann diskutiert und hinterfragt werden. Hier besteht natürlich für jeden die Möglichkeit, sich öffentlich zu artikulieren (vgl. Grüne Tomate).

    @Lars Fischer: Grundsätzliche Zustimmung. Viele sind wohl gewohnt, das Internet, in dem ja so viel publiziert wird, ähnlich wie die bisher bekannten Medien zu begreifen. Auch deshalb funktioniert Word of Mouth so gut. (btw.: da tun sich riesige Forschungsfelder auf…)

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