Publizieren ohne Website? Keine gute Idee

Diese Woche ist ziemlich viel an mir vorbei gezogen – wie das halt so ist, wenn einen die Grippe packt: Manches nimmt man nur am Rande, hinter einem leichten Schleier wahr. Einer hat aber meinen Wahrnehmungsschleier durchbrochen. Johnny Haeusler, der bei Wired Verlage auffordert, ihre Websites einzustampfen. Schließlich müssten die Redaktionen dorthin gehen, wo die Menschen sind, zu Facebook, Youtube, Snapchat und so. Und all die Kosten für SEO, Nutzertests, Content Management-Systeme – rausgeworfenes Geld. Kommt nach Ephemeral Media jetzt auch noch Ephemeral Journalism? Also Journalismus, der sich nach dem Konsum in Luft auflöst? Kein wünschenswertes und kein tragfähiges Szenario, scheint mir. In weiten Teilen sehe ich die Lage genau entgegengesetzt. Zum Beispiel glaube ich eher an zunehmend intelligente Content Management-Systeme und plattformunabhängiges Publizieren und ich sehe nicht, dass Journalismus sich in eine vollständige Abhängigkeit von Facebook & Co. begeben sollte.

Vorsicht Glatteis: Die Website als digitales zu Hause aufzugeben, halte ich für keine gute Idee.
Vorsicht Glatteis: Die Website als digitales zu Hause aufzugeben, halte ich für keine gute Idee.

Die Zielgruppen erreichen

Im Prinzip stehen Unternehmen, Parteien, NGO wie auch Redaktionen regelmäßig vor ein paar ähnlichen Problemen: Sie alle müssen immer wieder neue Wege zu ihren Zielgruppen finden. Dass der Journalismus zudem neue Geschäftsmodelle suchen muss, ist ebenfalls bekannt. Doch bleiben wir bei der Frage, die Zielgruppen auf neuen Wegen zu erreichen: Dieses Problem gab es schon, als sich die Zahl der Tageszeitungen erhöhte und Konkurrenz entstand. Später gab’s das selbe Spiel mit Radio und TV. Nun eben ist das Ganze digital filigran geworden, denn wir holen uns Informationen eben nicht nur auf Nachrichtenseiten wie sueddeutsche.de oder nzz.ch, sondern wir stoßen auch durch Empfehlungen unserer Bekannten in Facebook oder sonst wo drauf. Und schließlich gibt es zunehmend Nachrichten, die direkt dort publiziert werden, wo Nutzer sind. Aktuelles Beispiel ist Snapchat, wo Videos oder Artikel einiger Redaktionen wie Vice, CNN oder People direkt konsumiert werden können (wenn die App nicht gerade ständig abstürzt wie sie es bei mir derzeit zu tun pflegt).

Ist die Website wirklich obsolet?

Schon vor ein paar Jahren, längst bevor es Snapchat gab, haben sich ein paar Berater aufgemacht und Unternehmen erzählt, sie bräuchten keine Corporate Website mehr. Einzelne, an den Fingern abzählbare Beispiele hielten als leuchtende Referenz her, ich glaube, 2009 schon war es Skittles. Nun also sollen Redaktionen keine Websites mehr benötigen. Und mit Nowthisnews gibt es auch hier eine aktuelle Referenz: Keine Website, statt dessen wird in acht Social Networks – von tumblr über kik bis vine und snapchat – berichtet. Felix Schwenzel dazu:

„ich halte die idee, dass news-outlets auf eigene webseiten verzichten sollten, weil sie dorthin gehen sollten, wo die leute sind, für quatsch. das ist ein bisschen so wie zu sagen: wer abends ausgeht um zu trinken, leute kennenzulernen oder abzuschleppen sollte vorher seine wohnung kündigen.“

In der Unternehmenskommunikation hat man schnell gemerkt, dass solche Empfehlungen ziemlich heiße Luft sind, und die Idee wurde ganz schnell beerdigt. Statt dessen werden Corporate Websites oft zu Corporate Magazines als zentrale Content Hubs. Ich meine, auch heute gibt es gute Gründe, die Website (egal, ob Nachrichtensite oder Corporate Website) nicht einzustampfen:

  • Weil Onlinekommunikation aus Push und Pull besteht. Es geht nicht nur drum, schnell mal ein paar Infos auszuspielen oder auf deren Empfehlung zu hoffen, sondern es gibt auch Nutzer, die nach Informationen suchen (solange es um mehr geht als Seifenblasen-Themen wie bei Buzzfeed). Und jedes Nachrichtenportal hat jeden Tag genügend Artikel, die verdienen, wiedergefunden zu werden – nicht nur Magazine. Zumindest einige Nutzer gehen also zur Suchmaschine ihres Vertrauens und kommen im Idealfall zu einem gut gemachten Webangebot. Dass man bei Facebook oder Snapchat (ernsthaft) was suchen könnte, habe ich noch nicht festgestellt.
  • Weil Plattformen wie Facebook, Snapchat etc. private Firmen sind mit eigenen Regeln, fast immer noch dazu aus einem anderen Rechtssystem. Sprich: Sie haben das Hausrecht und zensieren schon auch mal nach undurchschaubaren Regeln, und das bestimmt nicht nur, wenn Kritik an ihnen geäußert wird oder Wettbewerber genannt werden.
  • Weil weder Unternehmenskommunikation noch Journalismus ihr Angebot allein an den Algorithmen der Plattformen ausrichten können, wenn sie nicht ihre ureigenen Ziele verraten wollen.
  • Weil trotz aller schönen Wachstumszahlen von Facebook und Co. eine Konzentration auf Social Media-Plattformen auch in nächster Zeit eine Menge Nutzer diskriminieren würde. Dazu sollte man aus meiner Sicht nicht nur mit absoluten Nutzerzahlen argumentieren – wir wissen zudem noch viel zu wenig darüber, wie viele Nutzer innerhalb der Plattformen überhaupt Interesse daran haben, gerade dort Nachrichten (oder Unternehmensinhalte) zu sehen oder empfohlen zu bekommen.
  • Weil ich als Gast auf einer Drittplattform vollkommen von deren Reputation abhängig bin und eine eigene Markenpflege enorm schwer ist.

Zurück zu Johnny Haeusler. Er wendet sich ja an Verleger und argumentiert:

„Schon 75 Prozent der Besucher von buzzfeed.com kommen direkt aus sozialen Netzwerken. Denn dort werden die Inhalte der Website verbreitet — entweder von Buzzfeed selbst oder von den Lesern. Bei diesem Kreislauf stellt sich natürlich die Frage, wozu man überhaupt noch eine Website braucht.“

Buzzfeed als Vorbild für den Journalismus? Darüber kann man natürlich trefflich streiten. Dazu gehört sicher auch die Überlegung, dass Buzzfeed-Inhalte sicher sehr „sharable“ in sozialen Plattformen ist, aber mit Nachrichtenjournalismus nicht wirklich viel zu tun hat. Aber was ich wirklich nicht verstanden habe an der Argumentation: Buzzfeed hat doch eine Website? Genau: 75 Prozent ihres Traffics kommt aus sozialen Netzwerken. Wie dann aber die Schlussfolgerung entsteht, dass es gar keine Website mehr braucht, kann ich nicht nachvollziehen. ich sehe deshalb die Sache genau anders rum: Die Website von Buzzfeed ist ein Content Hub – wie es z.B. auch die Website der NZZ ist. Denn auf Facebook zum Beispiel werden News geteilt, die an anderer Stelle publiziert sind.

Facebook & Co.: Nutzer binden statt nach außen verweisen

Wer bei Snapchat Nachrichten sehen will, kann dies seit kurzem innerhalb der App tun. Ich vermute: Dies macht nur Mini-Anteil der Nutzer.
Wer bei Snapchat Nachrichten sehen will, kann dies seit kurzem innerhalb der App tun. Ich vermute: Dies macht nur Mini-Anteil der Nutzer.

Nun ist mir bewusst, dass die Social Networks großes Interesse daran haben, dass sich genau dies ändert: Die News, die es von Vice & Co. auf Snapchat zu entdecken gilt, sind dort wie gesagt vollständig integriert. Um sie zu konsumieren, müssen die User die App nicht mehr verlassen. Und der Schritt, dass Redaktionen direkt bei Facebook & Co. publizieren könnten, wird seit einer Weile diskutiert – verbunden sogar mit der Hoffnung, dass Redaktionen, die dort veröffentlichen, von Facebook ein paar Werbedollar abbekommen. Nochmal Johnny Haeusler:

„Für die Anbieter von Inhalten ist der virtuelle Ort, an dem sich Menschen treffen, um sich miteinander auszutauschen, der einzige noch relevante Ort. Und wenn Facebook, Snapchat und Co. die neuen großen Nachrichtenkanäle sind, könnte es sogar passieren, dass sie genauso wie die alten agieren und in naher Zukunft professionelle Content-Lieferanten bezahlen werden, um die eigene Attraktivität zu steigern und hohe Werbeumsätze zu generieren. Alternativ dazu könnten sie den Anbietern von Inhalten die Möglichkeit geben, selbst von neuen Werbeinnahmen zu profitieren. Doch egal, ob Twitter nun wirklich das nächste ProSieben wird oder Snapchat tatsächlich Spiegel Online vom Thron stößt: Eure Websites könnt ihr schließen, liebe Verlage.“

Endlich also ein Geschäftsmodell für Onlinejournalismus? Facebook (oder Snapchat und andere) macht’s möglich? Klingt zu schön, um wahr zu sein. Für mich klingt das ganz nach dem Uber-Prinzip. Journalisten als digitale Taxifahrer, die die inhaltliche Hauptarbeit machen, während die blaue Mutter sie vom Ballast ökonomischer und technischer Aufgaben befreit und ein paar Krumen ihrer Milliardeneinnahmen zuteilt. Vielleicht wird dieses Modell für einige Redaktionen funktionieren. Die Abhängigkeit, in die sie sich damit hineinbewegen, muss aber kaum besonders betont werden – und dass ein privates Unternehmen damit nebenbei über die Vielfalt des Journalismus entscheiden würde, wohl auch nicht.

Lösungsansätze: Markenbildung und plattformunabhängiges Publizieren

Jetzt ist natürlich die Frage, wie eine Lösung aussehen könnte. Es wäre vermessen, mit dem Finger zu schnipsen, und ein funktionierendes Paket auf den Tisch zu legen. Das hat in Jahren niemand geschafft, warum sollte ich das also? Aber vielleicht kann ich ein paar Bausteine zu den vielen Diskussionen beitragen.

Zunächst: In einigen Punkten bin ich gar nicht so weit von Johnny Haeusler entfernt. Natürlich ist richtig, dass der Traffic über Suchmaschinen bei vielen Portalen anteilig zurückgeht. Und betrachtet man Linkempfehlungen, ist Facebook als Trafficbringer der Platzhirsch. Und dass Facebook mit der Macht des Marktführers daran arbeitet, seine Schäfchen lieber auf der eigenen Wiese zu behalten anstatt ihnen immer nur den Weg zu interessanten Themen in der Nachbarschaft zu zeigen. Schließlich ist es sicher so, dass viele Redaktionen Facebook & Co. höchstens als Linkschleuder verwenden anstatt eine dezidierte (journalistische) Content Strategie für die einzelnen Plattformen zu entwickeln.

Aber anstatt Websites einzumotten und mit ihnen die Content Management-Systeme (die tatsächlich oft große Geldgräber sind), glaube ich an eine andere Richtung: Mir scheint es zum Beispiel sinnvoll, wenn Redaktionen (genauso wie Unternehmen bzw. Marken) in der Lage sind, plattformunabhängig zu publizieren. Denke ich an die dafür notwendigen Workflows in einer Redaktion, kann ich mir nicht vorstellen, dass es sinnvoll und machbar ist, direkt Facebook und Co. als Content Management-Systeme zu verwenden. Statt dessen scheint mir ein CMS viel sinnvoller zu sein, das eine individuelle Content Strategie in unterschiedlichen Kanälen unterstützt – genauso wie ein redaktionsinternes Wissensmanagement.

Hierzu gehört unter anderem, dass für Redakteure schnell klar sein muss, wie sich ein Thema in welchem Kanal entwickelt hat. Damit wird innerhalb einer Redaktion digitaler Alzheimer vermieden, und schon beim Schreiben eines Artikels kann dank semantischer Technologie automatisch auf frühere Geschichten aus dem Archiv zurückgegriffen werden. Kleiner Nebeneffekt: Gerade durch die Verbindung aktueller Redaktion mit einem funktionierenden Archiv können in manchen Fällen wiederum eigene Produkte generiert werden – etwa, wenn zu einem größeren Sachverhalt spezifische Newsletter oder umfangreiche Informationspakete, zum Beispiel für Unternehmen, zusammengestellt werden – unabhängig davon, ob die einzelnen Beiträge auf Facebook oder auf der eigenen Website veröffentlicht wurden.

Und schließlich: Auch in Zeiten atomisierter (journalistischer) Inhalte glaube ich an Markenbildung und -pflege. Genauso wie die New York Times kann auch ein regionales Medienangebot bei ihrer Zielgruppe als vertrauenswürdige Marke gepflegt werden. Hierzu gehören sicher sehr viele Aspekte, nicht nur die Berichterstattung, sondern im Regionalen zum Beispiel auch Veranstaltungen zur Lokalpolitik oder zu Kultur etc. Auch hierzu ist eine Website als Anlaufstation ein kleiner Baustein. Was starke Marken ausmacht, lässt sich mit ein paar Zahlen zeigen: So bekommen bild.de und spiegel.de noch immer zwei Drittel ihres Traffics direkt, und selbst die Suche bringt den großen Nachrichtenportalen weit mehr Traffic als Facebook – auch wenn dieser rasch zunimmt wie Holger Schmidt in einem Vortrag zeigt (S. 22). Aber immerhin: Der Traffic wird zu den Nachrichtensites geschaufelt. Dass dies trotzdem ökonomisch in den meisten Fällen noch nicht genügend bringt, ist natürlich wahr.

Mir ist klar: Es gibt zu diesen Fragen noch viele Aspekte und noch viel mehr Leute, die dazu viel mehr Ahnung haben als ich. Unkommentiert stehen lassen konnte ich die Forderung, Websites einzustampfen denn aber doch nicht. Vielleicht sollte man Haeuslers Forderung so verstehen, dass Redaktionen wie Unternehmen dringend echte Strategien zum Publizieren in Facebook und Co. benötigen und dass (ich vermute gerade bei mittelständischen Verlagen) nicht jede Investition in CMS und SEO gerechtfertigt ist.

Mal sehen: Wenn alles klappt, schauen wir uns mit einer Agentur, die gerade einen mittleren Verlag berät, in nächster Zeit das Thema des plattformunabhängigen Publizierens genauer an. Ein paar CMS-Anbieter sind da ja schon recht weit. Und ansonsten: Weitere Aspekte, Kritik an meiner Argumentation wie immer gern in den Kommentaren…..

Ergänzung (24.2.15):

Die Frage, wie sich das Netz verändert, vor allem durch seine mobile Nutzung, und wie Geschäftsmodelle künftig aussehen könnten, wurde in letzter Zeit an vielen Stellen diskutiert. Gelegentlich habe ich dabei den Eindruck, dass Journalisten nun Diskussionen führen, die in Marketing und PR schon vor einiger Zeit angekommen sind – etwa, wenn es um die Frage geht, wie Inhalte sein müssen, damit sie geteilt werden. Ebenso wird über Möglichkeiten der Verbreitung, also der Push-Kommunikation, diskutiert – einschließlich dem guten (?) alten Newsletter, nun auf journalistischer Mission. Auch wenn einem manches bekannt vorkommt: Das sind das sehr wichtige Diskussionen, die uns sicher noch lange begleiten werden. Sehr lesenswert ist im Zusammenhang mit der Diskussion um die Zukunft der Website ein Artikel (inklusive Hangout-Mitschnitt) bei den Kompetenzgesprächen. Dort werden die beiden Positionen pro oder contra Website im Zentrum der Online-Strategie sehr schön kontrastiert. Das Ergebnis:

„Wer hat nun Recht? Die Antwort ist natürlich eindeutig zweideutig: Beide Parteien haben Recht bzw. beide haben Unrecht, jeweils relativ gesehen. Recht haben beide, weil man wahrscheinlich auch in einer fernen Zukunft noch einen „eigenen zentralen Knoten“ braucht (wie es die Homepage-Fraktion sieht) und weil zugleich die Bedeutung der Multiplikatoren steigt (wie die Gateway-Fraktion argumentiert). Beide haben Unrecht, weil dieser eigene zentrale Knoten nur noch wenig mit den alten CMS-Dinosauriern zu tun hat (was die Homepage-Fraktion erkennen sollte), aber auch das vollkommene Verschwinden dieses neuen „eigenen“ Knoten  unwahrscheinlich und unnötig ist (was die Gateway-Fraktion ruhig souverän einräumen könnte).“

Und weiter:

„Homepages“ werden virtualisiert und zu Knoten in einem vernetzten Internet der Flüsse, bei dem die Knoten z.B. über APIs (Application Interfaces) oder gemeinsame Erfahrungswelten bzw. kollaborative Kontexte vernetzt sein werden.“

Das scheint mir plausibel und geht in eine ähnliche Richtung wie meine Überlegungen, wenngleich absehbar ist, dass hierin noch eine Menge Diskussionsbedarf liegt. Wer Lust hat: Sehr gern könnten wir diese Diskussion unter anderem beim Content Strategy Camp live fortführen….

9 Kommentare

  1. Sehr guter Beitrag, finde ich. Empfehlungen, die eigene Webseite doch sein zu lassen, wirken auf mich eher wie der krampfhafte Versuch, die eigene Beratung als besonders innovativ für etwas höhere Tagessätze zu verkaufen.

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  2. Der Beitrag gefällt mir. Gibt es CMS-Empfehlungen für plattformunabhängiges Publizieren?

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