Der Wochenrückblick zu Netzthemen, Online-Marketing und PR
Heute geht es in den Lesetipps zweimal um Tracking: Einmal als Voraussetzung für sich selbst anpassende – adaptive – Inhalte, das andere Mal geht es um die Flucht von Nutzern vor Tracking zu Werbezwecken. Und sonst: Zwei Blogempfehlungen, zwei Studien und ein Tool.
Adaptive Content ist ein Schlagwort, das seit einiger Zeit mehr oder weniger durch die Community geistert. Die Idee dahinter ist, dass Content auf Websites oder in Apps so ausgespielt wird, dass er auf die Interessen bzw. den Kontext, in dem sich Nutzer gerade befinden, zugeschnitten ist. Gerade bei extrem umfangreichen Angeboten kann dies – so die Hoffnung – dem Besucher viel Suchen und Herumklicken ersparen, damit er ans Ziel kommt. Also: Automatisierte Nutzerführung statt komplexe Navigation. Mobil kann das noch weiter gehen und den Kontext des Nutzers berücksichtigen. Typisches Beispiel: In einer fremden Stadt bekommt man das nächstgelegene Restaurant empfohlen, das die eigenen Freunde positiv bewertet haben und das zusätzlich die bevorzugte Küche anbietet. All dies ist noch weitgehend Zukunftsmusik.
Ist das Ziel, auf einer Website eine Entdeckungsreise zu machen wie bei der digitalen Sammlung des Staedel-Museums (Disclosure: diese wurde von Mitarbeitern in unserem Institut ikum entwickelt), kann Adaptive Content zu einer hervorragenden User-Experience führen. Allerdings: Das System muss lernen können, es braucht also Informationen zu den Website-Besuchern. Bei anderen Nutzungszusammenhängen muss man genauer hinschauen. Dies war auch Thema einer Session beim #cosca16 . Bei t3n ist nun ein Interview mit einer internationalen Expertin auf diesem Gebiet erschienen: Karen McGrane ist Autorin von „Content Strategy for Mobile“ und Gründerin einer Beratungsfirma für User-Experience. Sie erklärt Adaptive Content so:
“Adaptive Content ist (…) ein Ansatz, Benutzern mit Hilfe von dem, was man über sie weiß, zielgerichtete Informationen zu liefern. Dabei könnte es sich um die Art des von ihnen benutzten Geräts, ihren Standort oder um andere Kontexthinweise handeln. Oder auch um sehr persönliche Informationen wie zum Beispiel Altersstufe, Einkommen oder Beziehungsstatus.”
Das Ganze führe aber schon bei der Contenterstellung zu einem sehr großen Aufwand – schließlich muss genau überlegt werden, in welchem Kontext welcher Inhalt für wen relevant sein könnte und dies muss zusätzlich hinterlegt werden. Abgesehen vom Aufwand bremst McGrane die Euphorie auch in anderer Hinsicht: Eine eindeutliche Zuordnung von Inhalten sei oft gar nicht möglich. Ihr Beispiel ist die Website eines Hotels. Dabei argumentiert sie, dass es gar nicht immer möglich sei, Persona klar zu unterscheiden – etwa, wenn ein Geschäftsreisender noch einen Urlaubstag an seinen Aufenthalt anhängt, geht es mit der eindeutigen Ansprache schon in die Binsen.
Bloggende Studenten: Stuttgart
Der nächste Lesetipp für heute geht nach Stuttgart, genauer geht’s um das Blog PR-Transfer, das von Master-Studenten der Uni Hohenheim unter Leitung des Kollegen Wolfgang Schweiger seit längerem eine tolle Transfer-Leistung erbringt. Das Konzept: Die Studierenden „übersetzen“ in ihren Blogposts aktuelle Studien und machen wissenschaftliche Erkenntnisse so anderen Studierenden und vor allem Praktikern einfach verdaubar zugänglich. Im aktuellsten Beitrag geht es beispielsweise um eine Untersuchung zu Kunden-Communities. Hier wird gezeigt, wie psychologische Faktoren die Chance beeinflussen, dass sich Kunden aktiv an Diskussionen in Communities beteiligen. Dabei muss man zum Beispiel auch damit umgehen, dass extrovertierte und introvertierte Kunden gegenteilige Erwartungen an Beteiligungsmöglichkeiten haben.
Bloggende Studenten: Darmstadt
Es sei mir verziehen, dass ich hier einmal mehr auf die PR-Fundsachen verweise: Nachdem meine Studenten im Seminar zu Content Strategie bereits ausführlich über die re:publica berichtet hatten, sind in der vergangenen Woche eine Menge Artikel zum Content Strategy Camp (#cosca16) dazu gekommen. Die Studierenden haben einerseits Folien, Blogposts und Videos von Teilnehmern gebündelt, andererseits berichten sie in eigenen Artikeln über zahlreiche Einzelthemen, die sich aus den mehr als 50 Sessions ergeben haben. Übrigens: Ein paar Beiträge sind noch in der Pipeline.
Kurzmeldungen
Content Marketing: “Ein Sargnagel des Journalismus” – mit dieser knackigen Überschrift wird dieser Tage Content Marketing etikettiert. Hintergrund ist eine in dieser Woche von der Otto-Brenner-Stiftung vorgestellte Untersuchung. Erstellt hat die der Würzburger Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation, Lutz Frühbrodt. Er hat sich angeschaut, welche Instrumente des Content Marketing die DAX30-Unternehmen bereits einsetzen und wie sie das tun. Ergebnis: Frühbrodt hat Angst, dass Owned Media wie Corporate Magazines für unabhängige journalistische Angebote eine Konkurrenz sind und dass hierüber mit großem Geld die Öffentlichkeit durch Unternehmen manipuliert werden könnte. Dieser Vorwurf immerhin dürfte so alt sein wie PR (was über seine Berechtigung noch nicht viel aussagt). Die Untersuchung wurde von einigen Medien aufgegriffen – und ich finde, viele seiner Punkte müssen von intensiv diskutiert werden: Etwa wenn die (im PR-Kodex geforderte) Absenderklarheit von Websites oder Online-Magazinen nicht gegeben ist, was unter anderem ZEIT online an Beispielen wie curved.de (Telefonica), impfen.de (GlaxoSmithKline) oder gesundheit.de (Alliance Healthcare) aufgreift. Wenn ich dazu komme, folgt demnächst eine ausführlichere Diskussion.
Tools: Arbeiten in der Cloud – für viele längst selbstverständlich. Was würde ich nur ohne Dropbox, Evernote und Google Docs machen? Hm, aber Google? Konrad Lischka hat eine Alternative gefunden:
“Sandstorm.io ist komfortabel, praktisch und stärkt ein nachhaltiges Netz im Sinne von: Selbstbestimmung, Selbstorganisation, Dezentralität und Offenheit.”
Tracking-Studie: Passend zum Startthema Adaptive Content eine Untersuchung von Lithium, die zum Ergebnis kommt, dass Nutzer sich zunehmend von Marken im Social Web verfolgt fühlen und deshalb davon genervt sind. Das gilt übrigens besonders für jüngere Nutzer, hebt Medienrauschen hervor:
“Tatsächlich geben gar 56 % an, die massive “Verfolgung” durch Werbung in Social Media sei für sie ein Grund, die Nutzung von Facebook und Co. zu reduzieren.”
Kann ich gut verstehen – empfinde ich selbst doch Onlinewerbung – gerade wenn ich mich getrackt fühle – oft selbst als konsumterroristisches Dauerfeuer.
Dark Social: Vielleicht ist es ja genau der Widerwille gegen Tracking, dass immer mehr Inhalte im Web als private Nachricht geteilt werden, also etwa in einem Messenger. Dieser Teil der Onlinekommunikation wird oft als Dark Social bezeichnet, denn mit herkömmlichen Analytics lässt sich dem schwerer beikommen. Aber es wird natürlich daran gearbeitet, dieses Problem für Marketer in den Griff zu bekommen. Eine aktuelle Analyse jedenfalls kommt zu dem Ergebnis, dass im mobilen Netz der größte Teil der Shares Dark Social zuzurechnen sind.
Fotohinweise: Headerbild: tp, Foto vom cosca16: Alina Drewitz für PR-Fundsachen, CC BY 2.0