Wenn Facebook zur Last wird

Still sei ich geworden, sagte mir die Tage ein Bekannter, anspielend auf meine Online-Aktivitäten. Er hat Recht. Für einen Teil dieser Stille habe ich mich bewusst entschieden, ein anderer ist – wie so oft – Umständen geschuldet. Heute berichte ich mal, warum ich mich ganz wohl damit fühle, Facebook kaum mehr zu nutzen.

Es kam, wie es immer wieder passiert: Kaum war ich mittendrin im Semesterbetrieb, arbeiteten wir zusätzlich an Forschungsanträgen und anderen Projekten und es blieb kaum noch Zeit zum Bloggen oder Twittern. Und ich gebe zu: Die politischen Entwicklungen seit 11/9 haben mich erstmal gebremst. Anstatt zu schreiben, habe ich immer mehr gelesen, mich durch hunderte Artikel gefressen und dabei die restliche Energie für eigene verloren. Wobei, nicht ganz – was mir noch nie passiert ist: In meinem Evernote stecken etwa ein halbes Dutzend unfertiger und damit nicht veröffentlichter Blogposts. Ein, zwei davon sind mittlerweile hinfällig, mit den anderen bin ich noch unzufrieden.

Facebook: Unsympathische Erscheinungen

Marionette

Was mir in dieser Phase des intensiven Lesens aufgefallen ist: Mich hat Facebook richtig zu nerven begonnen. Und das, obwohl meine Filterblase freundlich ist, sich keine Trolle zu mir verirrt haben. Vielen anderen ist jedoch genau das passiert und sie fanden sich in hässlichen Situationen (Diskussionen kann man’s ja nicht nennen) wieder. Das betrifft zum Teil den eigenen Freundeskreis, zum Teil Menschen, die ihre Meinung sagen und mit Hass überschüttet werden genauso wie Journalisten, die auf der Suche nach Gesprächspartnern sind.

Aber die Unlust auf solche Situationen war gar nicht der entscheidende Faktor: Mich stört viel mehr das System Facebook. Es ist und bleibt ein Walled Garden und damit das Gegenteil eines offenen Web. Und: Auf mich wirkte es so fordernd, um immer wieder meine Aufmerksamkeit zu bekommen, dass es mir zu viel geworden ist. Hinzu kommt die Frage, welche Verantwortung die Plattform für die Verbreitung falscher Informationen hat. Evgeny Morozov formuliert seine Kritik so:

„The problem is not fake news but the speed and ease of its dissemination, and it exists primarily because today’s digital capitalism makes it extremely profitable – look at Google and Facebook – to produce and circulate false but click-worthy narratives.“

Die Diskussion um Targeting und das Datensammeln des blauen Riesen macht mir diesen nicht sympathischer. Facebook ist einmal angetreten, Menschen zu vernetzen und ihre Verbindungen aufrecht zu halten. Eine klasse Idee. Heute ist mein Eindruck, die Mission bestehe vor allem darin, Menschen zu vermessen, sie als Produkte anzusprechen und sie dazu mit psychologischen Tricks ähnlich wie es Spielhallen tun, an sich zu fesseln.

Facebook: Ist’s die Zeit wert?

Und dann stellt sich die Zeit-Frage. So nett ich alle in meinem Umfeld finde, ich hatte zuletzt immer weniger das Gefühl, wirklich Neues zu erfahren. Denn: Durch den Algorithmus habe ich trotz Listen nicht sehr viele meiner Freunde wahrgenommen. Vor allem tauchen viel zu oft Tage alte Artikel oder eben Katzenvideos auf, die aufgrund der Reaktionen in meinen Feed gespült werden. Natürlich: Es gibt auch in meinem Feed gute Diskussionen. Unter dem Strich hatte ich jedoch das Gefühl, dass die Bilanz negativ ausfällt und Facebook meine investierte Zeit nicht wert ist. Laut Social Media Report von Nielsen (pdf) verbringen Facebook-Nutzer sechs bis sieben Stunden pro Woche auf der Plattform – bei mir waren es geschätzt eher zehn, beginnend beim Frühstück und zuletzt vor dem Schlafen-Gehen.

Der Kompromiss

Natürlich ist es schon etwas schräg, wenn ein Mensch, der sich täglich mit Onlinekommunikation beschäftigt, „ich will hier raus“ sagt. Ich gebe zu: Ich habe länger darüber nachgedacht, wie ich mit meiner beruflichen Rolle einerseits und meiner Kritik andererseits umgehe. Denn Facebook ist trotz allem mehr denn je eine wichtige Plattform, um Menschen zu erreichen, in Gruppen, aber auch in öffentlichen Beiträgen. Vor allem: Für Kommunikationsstrategien – sei es in der politischen Kommunikation oder in der Unternehmenskommunikation – halte ich Facebook für kaum verzichtbar, entsprechend nimmt es auch in der Lehre Raum ein. Für meine persönliche Kommunikation ist es weniger wichtig.

Herausgekommen ist deshalb ein typischer Kompromiss: Ich fände es komisch, jetzt einfach die Türe zuzuschlagen wie es teilweise schon empfohlen wird und einige in meinem engeren Umfeld es schon vor längerem getan haben. Aber: Die Plattform weniger und gezielter zu nutzen, war mir wichtig. Die App und den Messenger habe ich bereits vor mehr als einem Jahr vom Handy und vor etwa zwei Monaten auch vom Tablet gelöscht, lediglich den Seiten-Manager (also eine eigene App nur für Facebook-Seiten) habe ich unterwegs dabei. Am Rechner nutze ich die Plattform nur noch in einem separaten Browser, der für nichts anderes verwendet wird und auf dem (Super-)Cookies deaktiviert sind etc.. Ob damit das Datensammeln über mich wirklich schwieriger wird, sei dahingestellt. Wichtiger für mich: Facebook ist für mich selbst schwerer zugänglich und raus aus den ständigen Routinen.

Stattdessen nutze ich Facebook nur noch bewusst, das heißt, ich gehe ein- bis maximal zweimal am Tag auf die Plattform und schaue, was es in Gruppen und auf drei, vier Seiten Neues gibt. Bei Bedarf poste ich dort auch mal, aber mein Engagement ist vergleichsweise gering. Den Newsfeed nehme ich kaum mehr wahr.

Was bringt das Ganze jetzt? Zeit. Eine Menge Zeit. Und ein besseres Gefühl. Am Anfang wollte ich noch gewohnheitsmäßig in vielen Situationen mal eben vorbeischauen, das ist nun vorbei. Den Eindruck, etwas zu verpassen, habe ich nicht mehr. Denn die gewonnene Zeit nutze ich, um mehr Blogs und journalistische Medien zu lesen – zunehmend auch solche, zu denen ich mich wirklich überwinden muss – auf dass die Filterblase platze. Sehr vieles, das mir interessant erscheint, teile ich heute nicht mehr in Facebook, sondern statt dessen landet es in meinen (abonnierbaren) Bookmarks. Und manchmal überlege ich, ob die Welt jetzt ein bisschen besser wäre oder ob etwas fehlte, hätte Mark Zuckerberg statt Facebook zu gründen sein Studium abgeschlossen.

Update (26.1.2017)

Inzwischen habe ich von einigen, die sehr intensiv im Social Web unterwegs sind bzw. waren, ganz ähnliche Wahrnehmungen geschildert bekommen, auch sie sehen Facebook vor allem als Zeitfresser nutzen es kaum noch. Ob das in meinem Umfeld die Mehrheitsmeinung ist, weiß ich natürlich nicht. Noch weiter aber geht Martin Weigert: Er sieht (für sich) Social Media am Ende und erklärt, warum er auch andere Social Media-Plattformen (fast) nicht mehr nutzt, sondern nur noch direkte Kommunikation bzw. Messenger. Sein Artikel fasst gut strukturiert die verschiedenen Ebenen der Kritik an Social Media zusammen: Vom Online-Mob und Gruppendenken über Narzissmus, Suchtaspekte und Zeitverschwendung bis hin zu Desinformation und Echokammern reicht seine Argumentation. Allerdings scheint mir das dann auch wieder zu einseitig und überspitzt zu sein. Nein, das Totenglöckchen für Social Media möchte ich nicht läuten; man muss zum einen respektieren, dass sehr viele dort gern unterwegs sind und auch mir geht es noch immer so, dass ich viele positive Aspekte von Social Media sehe, aber das wäre einmal ein eigenes Thema.