PR und Authentizität im Social Web – erste Forschungsergebnisse

Es bleibt dabei: Eine Menge Unternehmen, Non-Profit-Organisationen oder Politiker überlegen, wie sie erfolgreich im Social Web bestehen können, haben aber Angst, dass bereits ihre ersten Schritte statt in eine bessere Kommunikationszukunft in die Social Media Krise führen. So zumindest meine Erfahrung aus vielen Gesprächen mit Praktikern. Sie fragen regelmäßig nach Erfolgsfaktoren, um in der Online-PR und vor allem im Social Web bestehen zu können. Sichtet man daraufhin die Literatur, stößt man immer wieder auf Begriffe wie Glaubwürdigkeit, Dialog und Authentizität. Doch was ist eigentlich Authentizität? Und wie geht die? In einer kleinen Untersuchung, deren erste Ergebnisse ich vor ein paar Tagen auf einer Tagung vorgestellt habe, sind wir diesen Fragen nachgegangen. Interessiert hat uns insbesondere, welche Erwartungen Akteure innerhalb des Social Web an Organisationskommunikation im Social Web stellen. Allerdings zeigt die Untersuchung, dass es schwierig bleibt. Denn das Verständnis von Authentiztät ist in der Praxis durchaus unterschiedlich. Ein paar Tipps lassen sich jedoch ableiten.

Was genau haben wir also untersucht und herausgefunden?

Die Ausgangsüberlegung:
Aus der Beobachtung einiger Diskussion um PR im Social Web haben wir die Hypothese gebildet, dass Akteure im Social Web eine wichtige Rolle für das Framing übernehmen. Vereinfacht und zugespitzt: Wird die Kommunikation eines Unternehmens/einer Organisation im Social Web innerhalb des Social Web kritisch diskutiert, so wird das Ganze vermutlich auch außerhalb des Social Web mit dieser Tendenz diskutiert, womöglich folgen also kritische Berichte in den klassischen Medien. Umgekehrt beeinflussen positive Deutungen im Social Web wahrscheinlich auch die Gesamtwahrnehmung. Und natürlich kann man aus positiv diskutierten Beispielen lernen.

Die Untersuchung:
Zunächst haben wir uns die Diskussion des Authentizitätsbegriffs in der Literatur angeschaut. Hierzu haben wir auch in benachbarten Gebieten wie der Fernsehforschung geschaut. Im nächsten Schritt haben wir im deutschsprachigen Social Web gesucht, inwiefern dort PR und Authentizität diskutiert wurden (Januar bis Juni 2009). Herangezogen wurden Blogs, Twitter und drei Gruppen innerhalb des Social Networks Xing. Die 105 relevanten Fundstellen haben wir qualitativ analysiert, u.a., um das Verständnis der Autoren von Authentizität zu ermitteln. Außerdem haben wir festgehalten, welche praktischen Beispiele diskutiert wurden. Aus den drei am häufigsten Genannten wurden im nächsten Schritt Fallstudien erstellt. Konkret waren diesn: Lufthansa auf Twitter, der Online-Wahlkampf von Thorsten Schäfer-Gümbel (Twitter, YouTube) und das Saftblog; aufgrund der umfassenden Diskussion haben wir Vodafone noch dazu gepackt (Diskussion v.a. im Juli 09).

Erste Ergebnisse:
Noch ist nicht alles ausgewertet, doch ein paar Feststellungen lassen sich treffen:

  • Wie ist das Verständnis von Authentizität in der Literatur? Uneinheitlich. In der Fernsehforschung zum Beispiel wird das Thema seit mehr als zwanzig Jahren diskutiert. Hier hat sich das Verständnis gewandelt: Wurde unter Authentizität Ende der achtziger Jahre vor allem Wirklichkeitsnähe verstanden (Thoma 1989), so diskutierte man später, dass Authentizität eher subjektiv, also eine Wahrnehmungsfrage der Zuschauer sei (Krieg 1997); während Authentizität heute in der Fernsehforschung eher als Illusion der Teilhabe gilt (Wetschanow 2005). Innerhalb des New Journalism – um ein anderers Gebiet kurz anzureißen – wurde intensiv über authentisierende Strategien diskutiert (von der Wackelkamera bis zur Offenlegung von Quellen) (z.B. Bleicher/Pörksen 2005). In der medientheoretischen Auseinandersetzung mit McLuhan wird Authentizität als medial vermittelter Prozess und als Wissen um die eigene Wirkung gesehen – Authentizität also als eine Art von Medienkompetenz (Dreyer 2005). Dagegen wird in der Literatur zu Online-PR (z.B. Zerfaß 2005, Kielholz 2008) Authentizität in einen Zusammenhang mit der Persönlichkeit des Kommunikators gestellt, aber auch als Erfolgsfaktor für Social Media-Kommunkation gehandelt.
  • Jetzt aber ins Social Web. Wo wird das Thema Authentizität wirklich diskutiert? Vor allem in Weblogs. Twitter und v.a. Xing spielen eine deutlich geringere Rolle für die Diskussion, wobei Twitter oft als Transmissionsriemen dient.
  • Wer diskutiert? Vor allem PR-Praktikter. Das bedeutet: PR-Leute, die ihre Organisation ins Social Web führen, müssen vor allem vor dem kritischen Blick ihrer Kollegen bestehen, während die Diskussion von Stakeholdern (zumindest in der aktiven Auseinandersetzung mit diesem Thema) eine geringe Rolle spielt.
  • Was verstehen die Diskutanten überhaupt unter Authentizität? Es gibt kein einheitliches Verständnis. Grob kann man sagen, dass eine leichte Mehrheit unter Authentiztät so etwas wie Wirklichkeitsnähe und Ehrlichkeit versteht – also ein ethischer Unterton mitschwingt. Die andere Fraktion sieht klar, dass Authentizität in der PR konzeptionell angelegt sein kann (es also auch Strategien gibt, um Authentizität herzustellen) bzw. dass es hier um eine Inszenierung gehen kann.
  • Wer kann in der Online-PR Authentizität herstellen? Aus Sicht der Diskutanten ist auch hier das Bild nicht einheitlich. Etwas häufiger werden Mitarbeiter (einschließlich der Chefs) genannt, aber auch Stakeholder (z.B. Kunden), selbst PR-Leute. Interessant fand ich, dass immer wieder auch ein bestimmter Kommunikationskanal bzw. ein Medienformat per se als authentisch diskutiert wurde (v.a. Twitter, z.T. auch Videos).
  • Was sind Strategien, um Authentizität herzustellen? Am häufigsten genannt wurde hier die Personalisierung, aber auch der Schreibstil sowie eine bewusst unperfekt erscheinende Produktion.
  • Was sind nun abschließende Empfehlungen? Betrachtet man zusätzlich die Diskussion um die genannten Einzelfälle, so wird klar, dass Ghostwriting (Lufthansa, TSG) und der Mangel an Dialog (Lufthansa, Vodafone) als unauthentisch abgelehnt werden. Bei Vodafone fiel zudem der Einsatz der Testimonials aus dem Social Web in vielen Diskussionen durch. Weitgehend neutral bewertet wurden Strategien, etwas unperfekt aussehen zu lassen (z.B. ein Video). Positiv im Sinne der Authentizität ist dagegen, wenn die Chefin selbst (Saftblog) und v.a. dialogorientiert im Social Web erscheint. Ebenso gelten Ehrlichkeit und Offenheit als Bausteine für authentische Kommunikation.

Erste Einordnung:

Die Fragestellung der Untersuchung ist bewusst eine enge. Nicht herausfinden konnten wir dabei, als wie wichtig Authentizität im Vergleich zu anderen Faktoren der Kommunikation bewertet werden. Wichtig ist auch, dass wir ergebnisoffen das Verständnis von Authentizität, wie sie im Social Web diskutiert wird, erschließen wollten. Es ging also nicht um ein „wahr“ oder „falsch“. Auffällig auch: Sehr häufig wurde in den Diskussion Authentizität nur eingefordert, was jedoch hierzu genau erwartet wird, bleibt oft unerwähnt. Ähnliches zeigt sich übrigens auch in der PR-Literatur, in der ohnehin das Thema Authentizität bislang nicht intensiv diskutiert wurde.

Deshalb war es natürlich passend, dass sich vor wenigen Tagen eine ganze Konferenz mit diesem Thema beschäftigt hat: die Jahrestagung (Programm, pdf) der Fachgruppe Organisationskommunikation/PR innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK). Dort habe ich auch die Ergebnisse unserer kleinen Untersuchung vorgestellt. Die Folien sind auch auf Slideshare zu finden.

Dank:

Ohne die intensive Mitwirkung von Daniel Rehn wäre diese Untersuchung kaum möglich gewesen. Er hat nicht nur viel Arbeit in die Studie gesteckt, sondern war ein wichtiger Partner qua Untersuchungsanlage, denn nach der ersten induktiven Kategorienbildung haben wir im Diskurs Kategorien für den nächsten Analyseschritt gebildet.

17 Kommentare

  1. Sehr spannend! Dass Authentizität konzeptionell angelegt sein kann, finde ich akzeptabel, ja, sogar sinnvoll. Dass es Strategien gibt, sie herzustellen, ist im Einzelfall eine Würdigung wert. Dass sie inszeniert wird, empfinde ich als Widerspruch. Dann kann man Authentizität nur noch auf einer Meta-Ebene feststellen, etwa wenn das ganze Unternehmen nur Inszenierung bietet und z.B. keine „Einblicke“ – damit sein wahres Gesicht zeigt.
    Ein wesentlicher Faktor scheint mir nur in Ansätzen berücksichtigt: In der PR erleben wir hier und da eine sehr starke Veränderung, wenn die Authentizität eines Unternehmens durch die Authentizität der Personen, die es in Social Media Kanälen vertreten, gleichsam aufgewertet wird. Es geht wie immer um die Kontaktpunkte, ob es Flyer, Spot, PK, Blog oder Twitter ist. In Social Media bedeutet dies, diesen authentizitätsrelevanten Aspekt als Unternehmen nicht nur zuzulassen, sondern zu fördern. Kontrollverzicht als Authentizitätsgewinn? Ich glaube: ja.

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  2. Ich bin beeindruckt von der Vielgestaltigkeit der Eindrücke, die in dem Post aufgegriffen sind. In meinem Metier (Jura) gilt Authentizität – insoweit zu Recht – als Schimpfwort/killer, wenn sie sich zu offensichtlich als solche gibt. Sicher ein Sonderfall, trotzdem erscheint es mir wichtig, die Art des Inhalts nicht aus den Augen zu verlieren.

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  3. Interessanter Artikel zu einem spannenden Themat!

    So richtig authentisch wäre es zum Beispiel, würden die Chefs der marktbeherrschenden Discounter twittern und bloggen, dass es ihnen wieder mal gelungen ist, Zulieferer noch weiter im Preis zu drücken. Und HEUREKA: die Ware ist im Laden nun wieder 5 Cent billiger!

    Ob das jemand will? GELESEN würde es bestimmt.

    Davon abgesehen, denke ich: authentisch können nur Personen sein, nicht Unternehmen oder gar „Marken“. Und forschen, WAS als authentisch empfunden wird, sollte man vielleicht weniger bei PR-Fachleuten, sondern mehr beim User, Leser, Kunden.

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  4. Danke für die Rückmeldungen und Diskussionsbeiträge.

    @Markus Siepmann: Authentizitätsgewinn durch Kontrollverzicht unterschreibe ich sofort als strategische Forderung. In den untersuchten Beiträgen ist dies nach unserer Auswertung so jedoch nicht formuliert gewesen.

    @Claudia Klinger: Vollkommen klar, was authentisch ist, ist deshalb noch lange nicht gut bzw. strategisch sinnvoll. Da wäre das Pferd falsch aufgezäumt. Zunächst mal geht es um die Frage, welche Kommunikationsziele erreicht werden sollen. Erst im nächsten Schritt fragt sich, welcher Weg dorthin führt. Viele Berater und Fachbuchautoren nennen eben Authentizität als einen Erfolgsfaktor (ich habe mit dem Begriff meine Probleme und meide ihn weitgehend).

    Zum Einwand, was man erforschen sollte: Wir haben mehrstufig untersucht. In der Inhaltsanalyse aller Beiträge aus sechs Monaten haben wir festgestellt, dass es eben v.a. PR-Leute selbst sind, die Authentizität diskutieren. Kunden und andere User wurden nicht ausgeschlossen, sondern haben sich eben kaum dazu geäußert. Allerdings nehme ich an, dass die verwendeten Suchstrings (authentisch OR Authentizität + PR OR Public Relations) in Richtung PR-Leute gesteuert haben. Im zweiten Untersuchungsschritt (vier Fallbeispiele) haben wir nur nach „Authenizität/authentisch + Name/Unternehmen“ gesucht. Hier haben Kommentare von Kunden, Netzusern etc. ein deutlich größeres Gewicht gehabt.

    Aber klar, man könnte auch Kunden etc. speziell fragen. Da ich aber wie gesagt den Begriff Authentizität für problematisch halte, würde ich da lieber nach anderen Aspekten fragen (z.B. Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Ehrlichkeit).

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  5. Hallo Herr Pleil,

    ich würde gerne zwei Beiträge aus meinem Blog in die Debatte mit einbringen. Einmal „Sei authentisch!… Aber wie geht das?“ (http://bit.ly/xZCfH) und dann noch „Authentizität und PR – ein (noch) zwiegespaltenes Verhältnis“ (http://bit.ly/jixn).

    Der erste Beitrag enthält den Versuch, Authentizität anhand des Schulz-von-Thun-Modells zu erklären. Dieses Modell gibt auch recht klare Handlungsanweisungen, wie man als Kommunikator die Authentizität überprüfen kann.

    Und der zweite Beitrag untersucht die Frage, ob „PR“ derzeit überhaupt authentisch sein kann und will.

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  6. Danke schön für die Hinweise, Herr Lange. Die beiden Beiträge sind uns als sehr fruchtbringend aufgefallen, nicht nur inhaltlich, sondern es lässt sich im Untersuchungssample zeigen, dass sie im Untersuchungszeitraum einen Peak in Bezug auf die Diskussion ausgelöst haben.

    In der ersten Auswertung sind wir auf Ihre Argumentation noch nicht individuell eingegangen, haben dies aber auf der Agenda :-)

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  7. Schöner Beitrag – Vor dem Hintergrund der aktuellen „Authentizitätsdebatte“ haben wir diese Woche ein Interview mit Prof. Dr. Peter Szyszka zum Thema „Authentizität und Inszenierung in der Organisationskommunikation“ veröffentlicht.

    Eine der Kernaussagen „Authentizität hat man nicht, sie wird einem vom Beobachter zugewiesen“ – Wer mehr zum Thema wissen möchte, findet das komplette Interview hier
    http://www.ffpr.de/de/news/experteninterviews/authentizitaet_und_inszenierung.html

    Gruß Stephan Fink

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