Onlinekommunikation, Populismus und die Medien – Teil 2: (Des-) Informierte Bürger

Trumps Krieg gegen die Medien, die bewusste Manipulation ihrer Agenda und damit der Öffentlichkeit standen im vorigen Artikel im Mittelpunkt. In diesem Teil fasse ich vor allem eine kommunikationswissenschaftliche Perspektive auf die Informiertheit von Bürgern in Sozialen Medien zusammen. Die zentrale These: Besonders gefährdet für Populismus ist die „politisierte Bildungsmitte“ (Wolfgang Schweiger).


Sprechen wir über den Wandel der (digitalen) Öffentlichkeit, müssen wir erst einmal verstehen, was da genau passiert. Das schließt die technischen Mechanismen und ihre Angreifbarkeit (um die es im Folgenden nicht geht) genauso ein wie Erklärungsansätze für die zunehmende Polarisierung gesellschaftlicher Gruppen. Mein Kollege Wolfgang Schweiger (Uni Hohenheim) hat diesem Thema gerade erst ein Buch gewidmet: „Der (des)informierte Bürger im Netz“. Er strukturiert die vielfältigen Erklärungsversuche so: Soziologen sehen die Prekarisierung der Mittelschicht als zentrales Problem, Politikwissenschaftler argumentieren, etablierte Parteien hätten sich von Bürgern zu weit entfernt, Wirtschaftswissenschaftler wiederum vermuten Kapitalismus und Überforderung durch die Globalisierung als Auslöser – während Sozialpsychologen viele Menschen in Zeiten des Wandels auf der Suche nach (nationaler oder religiöser) Identität sehen. Schweiger selbst bietet als Kommunikationswissenschaftler einen anderen Erklärungsversuch:

„Wenn Bürger irrational agieren und gegen ihre eigenen Interessen wählen, müssen sie schlicht unzureichend oder falsch informiert sein.“  (Schweiger 2017, S. VII)

Dabei sieht Schweiger den Bedeutungsverlust des Journalismus und den Aufstieg sozialer Medien als Grund für die Schwächung der politischen Informiertheit und Diskursfähigkeit der Bevölkerung, was letztlich die Polarisierung der Gesellschaft verstärke. Besonders deutlich, so argumentiert er, wirke sich das auf die Bildungsmitte aus, die zum Teil erst in jüngerer Zeit eine Politisierung erlebt habe. Waren diese Bürger – er meint damit jene mit mittlerem Bildungsabschluss – früher eher Nicht-Wähler oder Wähler der etablierten Parteien, so zeige sich mittlerweile eine Mobilisierung und Politisierung dieser Gruppen.

Gerade Bürger mit mittlerem Bildungsabschluss nutzten soziale Netzwerke und alternative Medien häufiger als Informationsquelle als andere Bevölkerungsgruppen (S. 155), damit steckten sie am stärksten in Filterblasen und Polarisierung fest – bei gleichzeitig hohem Involvement und mäßigem Vorwissen und schwacher Medienkompetenz. Schweigers These: Es geht vor allem um die bisherigen Nutzer von Boulevardmedien, und die zeichnen sich oft durch Halbwahrheiten und auflagesteigernde Berichterstattung aus.

Man sollte ergänzen: Die Mechanismen des Boulevard und des Facebook-Algorithmus sind sich gar nicht so unähnlich: Aufreger gehen am besten. Hinzu kommt: Wir haben seit Jahren ohnehin eine Diskussion darum, dass sich Journalismus generell stärker Richtung Boulevard bewegt – was wiederum vor dem Hintergrund zu sehen ist, dass Boulevardmedien wirken: Beispielsweise schüren sie negative Emotionen gegenüber Minderheiten oder ihre Nutzer überschätzen deutlich die Kriminalitätsrisiken. 

Schweiger argumentiert weiter, dass zeitgleich zu den beschriebenen Mustern der Mediennutzung sich bei der beschriebenen gesellschaftlichen Gruppe in den letzten Jahren die größte Frustration aufgestaut habe. Immer wieder werde kritisiert, dass die (Wirtschafts-)Politik der meisten westlichen Länder für große Teile der Gesellschaft den Traum vom besseren Leben zerstört hat. Das Ergebnis:

„Die politisierte Bildungsmitte ist mit dafür verantwortlich, dass online mit mehr Verve als Argumenten diskutiert wird und sich rechtskonservative bis hin zu rassistischer Hetze wie Lauffeuer verbreitet.“ (Schweiger 2017, S. 157)

Schweiger stellt klar, dass die Neigung zum Rechtspopulismus nur auf einen Teil der Bürger aus der Bildungsmitte zutrifft. Doch sieht er diese Gruppe am stärksten gefährdet, wenn es um die Manipulation von Menschen, die Verdrehung von Fakten geht – und: Es handelt sich dabei um ein nennenswert großes Bevölkerungssegment.

Einer ganz ähnlichen Argumentation entspringt wohl die Idee der “Reporterfabrik”, die vor allem von David Schraven und Cordt Schnibben vorangetrieben wird. In Zusammenarbeit mit Volkshochschulen und Journalistenschulen sollen Kurse entstehen, die Journalisten, vor allem aber normale BürgerInnen, die in sozialen Netzwerken unterwegs sind und Informationen weiterverbreiten bzw. veröffentlichen, besser qualifizieren. An sich scheint mir der Ansatz logisch, jede/n als Akteur/in der Öffentlichkeit zu verstehen. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt – die Darstellung des Projektes ist bisher wie Wolfgang Michal und Lorenz Matzat kritisieren, noch nicht so glücklich: Wie die beiden betonen, ist der Begriff der “Fabrik” hier ziemlich fehl am Platz und es ist die Frage, mit welcher Haltung das Ganze betrieben wird – geht es hier um Bildung? Oder um Erziehung? 

Große Themenbreite des Frusts

Zurück zur Argumentation von Wolfgang Schweiger. Er hebt vor allem auf Online-Inhalte ab und den großen Frust oder Leidensdruck einer politisierten Bildungsmitte bei Themen wie Tier-, Natur- oder Datenschutz, zu Asyl, Immigration, Windkraft, Abtreibung bis zur sozialen Ungleichheit (S. 162). Damit verbunden sei ein hohes Orientierungsbedürfnis – in einem Umfeld, in dem prinzipiell immer mehr Informationen zur Verfügung stehen. Schweiger fragt deshalb zum Beispiel, ob Bürger die Medienkompetenz haben, die Absicht eines Informationsanbieters, seine Bekanntheit oder Reputation etc. erkennen – mir scheint, an dieser Stelle wäre noch viel Forschung notwendig. Sicher macht aber der Primacy-Effekt im Netz die Sache schwieriger, wie Schweiger betont: Dieser Effekt besagt, dass sich Onlinenutzer für das erstbeste Angebot entscheiden, beispielsweise in der Ergebnisliste von Suchmaschinen. Alternativ nutzen viele Bürger unter dem Eindruck der Informationsflut oft Empfehlungen aus dem Bekanntenkreis – oft genug eine schlechte Lösung, denn dort herrscht womöglich große Meinungskonformität (aka Filterblase). Meine Überlegung dazu: Die Tendenz zur Orientierung der eigenen Meinung an anderen gibt es schon immer, sie ist Bestandteil des Prinzips “öffentliche Meinung”. Ich würde aber davon ausgehen, dass der Konformitätsdruck durch die enge und direkte Interaktion und gegenseitige Beobachtung in sozialen Medien größer ist als beim althergebrachten Medienkonsum.

„Eine Folge ist die unheilvolle Kombination aus politischem Selbstbewusstsein, Pseudo-Informiertheit und extremer Einstellung, die viele Bürger der politisierten Bildungsmitte auszeichnet. Solche ‚Wutbürger‘ sind öffentlich redebereiter und politisch aktiver. Damit tragen sie in sozialen Netzwerken und in der öffentlichen Bürgerkommunikation zur einer verstärkten Sichtbarkeit und viralen Mobilisierung extremer Meinungen bei.“ (Schweiger 2017, S. 179)

Den Journalismus sieht Schweiger nicht ohne Weiteres in der Rolle eines Problemlösers und verweist auf die Medienverdrossenheit vieler Bürger, die oft auch durch alternative Medien befeuert werde, die echte oder vermeintliche Fehler oder Abhängigkeiten ihrer journalistischen Konkurrenz thematisieren (S.185). Stichwort: “Lügenpresse”. Damit verbunden ist oftmals eine schiefe Wahrnehmung des aktuellen Meinungsklimas. Sprich: Die Lauten wähnen sich im Konsens mit der Mehrheit.

Gibt es Lösungsansätze?

Wolfgang Schweiger plädiert für mehrere Ansätze. Zunächst adressiert er die Bildungspolitik und fordert eine bessere staatsbürgerliche Bildung und mehr Informiertheit zu Social Networks, Suchmaschinen etc – also Medienkompetenz bzw. Web Literacies. Diese Forderungen sind sicher nicht neu, aber noch immer dringend. Hierfür schlägt er vor, ergänzend zu den Lehrern „Medien- und Info-Trainer“ einzusetzen, etwa Studierende von Medienstudiengängen. Wir denken in Darmstadt in eine ähnliche Richtung und möchten ein solches Konzept im Studiengang Onlinekommunikation in nächster Zeit gern umsetzen. Schweiger plädiert zudem für mehr Begegnungen mit Andersdenkenden, die beispielsweise in der Schule organisiert werden können.

Als zweites Feld macht er die Medienpolitik aus. Die im Vergleich zur Regulierung klassischer Medien minimalen Vorgaben für IT-Unternehmen hält er für nicht akzeptabel:

„Rechtsverstöße, die in jeder Lokalzeitung umgehend geahndet würden, bleiben unbeachtet und belasten ihre Opfer oft schwer.“ (Schweiger 2017, S. 192)

Ohne strengere Gesetze und mehr Ermittler wenn es um Hasskommentare und Lügen geht, gehe es nicht.

Das dritte Feld sind nach Schweiger die journalistischen Medien. Ein paar Stichworte seiner Forderung: Mehr Hintergrund und Einordnung, bessere Qualitätssicherung – zwischen den Zeilen nur und nicht expilzit nennt er auch eine klare Abgrenzung zu PR. Und schließlich hofft Schweiger auf die Bürger selbst:

„Vielleicht wird es manchen Bürgern irgendwann schlicht zu dumm, immer wieder auf alarmistische Lügen und Halbwahrheiten hereinzufallen, die sich später als falsch herausstellen. Und vielleicht lernen sie daraus, dass man das, was man im Facebook-Newsfeed sieht oder auf unbekannten Blogs oder Websites findet, nicht immer gleich glauben oder gar weiterverbreiten soll – auch wenn es die eigene Weltsicht bestätigt.“ (Schweiger 2017, S. 196)

Zwischenfazit

Es bleibt schwierig. Mein Eindruck: Die Analyse der aktuellen Entwicklungen ist ganz gut – sofern wir die unterschiedlichen Erklärungsansätze der Disziplinen gemeinsam im Blick haben.  Aber: Die Lösungsansätze sind noch ziemlich schwach – zumindest erfordern sie einige Geduld. Natürlich sind Vorschläge zur Qualitätssicherung und zur Erklärung von Journalismus und sozialen Medien (also Medienbildung) zwingende Forderungen. Aber gibt es auch kurzfristigere Möglichkeiten? Ein paar Ideen dazu möchte ich im nächsten Artikel vorschlagen – allerdings ist klar: Auch das sind nur kleine Bausteinchen.

Literatur

Schweiger, Wolfgang (2017): Der (des)informierte Bürger im Netz. Wiesbaden: Springer.